Köln (epd). Die Politikwissenschaftlerin Bente Scheller hat die Bedeutung von Minderheitenrechten für die künftige Entwicklung in Syrien hervorgehoben. Die Zusicherung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS), Minderheiten Schutz zu garantieren, reiche nicht aus, sagte die Leiterin des Nahost-Referats der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung am Montag im Radiosender WDR 5. Das sei „nur ein erster Schritt“ nach dem Sturz des Assad-Regimes. Minderheiten wie etwa Christen, Jesiden oder Alawiten müssten auch Rechte und Beteiligung garantiert werden. „Und dieser Punkt wird sich noch beweisen müssen, ob das tatsächlich gelingt“, sagte Scheller.
Nach 13 Jahren Bürgerkrieg hatte am Wochenende eine Rebellenkoalition unter Führung der HTS die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus und weitere wichtige Orte übernommen. Der entmachtete Präsident Baschar al-Assad flüchtete laut russischen Medienberichten nach Moskau.
Scheller hält ein freiheitliches System in Syrien in Zukunft nicht für ausgeschlossen, auch wenn die Rebellenkoalition von einer islamistischen Miliz angeführt wird. Syrien sei ein sehr diverses Land und die Menschen hätten in den vergangenen Jahren durch das Leben in Unterdrückung durch das Assad-Regime, die Terrorgruppe Islamischer Staat„ (IS), die HTS oder teils auch die Kurden viel Furcht verloren. “Sie sind gegen all diese Gruppen auf die Straße gegangen", sagte Scheller. Viele Menschen ließen sich nicht mehr einschüchtern.
Problematisch sei hingegen ein „Wildwuchs an Milizen“, der in den vergangenen Jahren entstanden sei, erklärte die Politologin. Assad habe eine Reihe von Milizen wie Bürgerwehren und andere zum Teil sehr radikale Gruppen in seinem Auftrag gehabt. Diese hätten „im Prinzip keine Rechenschaft abzulegen“ gehabt. Diese Milizen sehe sie im Vergleich zur syrischen Armee, die kaum Gegenwehr gegen die Rebellen geleistet hatte, eher als problematisch an. Auch der Umgang mit dem „sehr brutalen System der Geheimdienste“ werde eine große Herausforderung sein, sagte Scheller.