Hanau (epd). Das Landgericht Hanau muss erneut über die Anklage eines inzwischen 100-jährigen ehemaligen SS-Wachmanns entscheiden. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main teilte am Dienstag mit, es habe den Beschluss des Landgerichts aufgehoben, das Verfahren nicht zu eröffnen. Damit gab das OLG den Beschwerden der Staatsanwaltschaft Gießen und mehrerer Nebenkläger statt. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Beschuldigten im Sommer 2023 Anklage wegen Beihilfe zum Mord in 3.322 Fällen erhoben. Der Mann aus dem hessischen Main-Kinzig-Kreis war von Juli 1943 bis Februar 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen eingesetzt gewesen. (AZ OLG: 7 Ws 169/24; LG: 2 Ks 501 Js 33635/22 (8/24))
Der Beschuldigte soll laut Anklage als Mitglied einer SS-Wachmannschaft an der grausamen Ermordung von KZ-Häftlingen beteiligt gewesen sein. Weil der mutmaßliche KZ-Wächter zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt war, würde in dem Verfahren das Jugendstrafrecht angewandt werden.
Ein Sachverständiger hatte in einem ersten psychiatrischen Gutachten 2022 ihn als „zumindest als eingeschränkt verhandlungsfähig“ beurteilt. In einem zweiten Gutachten im vergangenen Februar hatte er nach Angaben des OLG die Verhandlungs-, Vernehmungs- und Reiseunfähigkeit des Beschuldigten festgestellt. Daraufhin hatte das Landgericht im vergangenen Mai die Eröffnung des Prozesses abgelehnt.
Hingegen gab das OLG den Beschwerden statt, weil das Landgericht gegen das „Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung“ verstoßen habe. Ein Gericht müsse die Diagnosen und Ergebnisse eines Sachverständigen hinterfragen, hob das OLG hervor. Schließlich sei das Ergebnis des Gutachtens nicht ausreichend nachvollziehbar dargestellt. Das OLG beauftragte das Landgericht, die erforderlichen Nachermittlungen zur Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten aufzunehmen und erneut über die Eröffnung des Prozesses zu entscheiden.