TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das ewige Meer"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
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10. November, ARD, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das ewige Meer"
Sie haben die Schule geschwänzt, um für das Klima zu streiken, sie haben sich auf Straßen festgeklebt, sie haben Kunstwerke mit Kartoffelbrei beworfen und berühmte Bauwerke mit Farbe besprüht. Die Aktionen wirkten zuletzt immer hilfloser, weil sie wissen: Uns läuft die Zeit davon.

Passiert ist nichts: Anstatt endlich die Notbremse zu ziehen, bewegt sich die Menschheit sehenden Auges sogar noch schneller auf den Abgrund zu. Also setzen sie nun ein verzweifeltes letztes Zeichen.

Das kann Klaus Borowski (Axel Milberg) zunächst jedoch noch nicht ahnen, als er im finsteren Keller des Kieler LKA einen jungen Mann (Jonathan Berlin) befragt. Bennos Ex-Freundin Clara ist ertrunken; Rückstände von K.O.-Tropfen in ihrem Blut legen die Vermutung nahe, dass sie nicht freiwillig ins Wasser gegangen ist. Außerdem hat sie Benno kürzlich wegen Körperverletzung angezeigt. Der Fall scheint klar; im Grunde muss er bloß noch gestehen, dann kann die Akte geschlossen werden. Noch während der Vernehmung bekommt der Hauptkommissar jedoch einen Anruf von seiner Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik): Am Strand ist eine zweite weibliche Leiche gefunden worden. Die Begleitumstände sind die gleichen, aber mit dieser Tat kann Benno nichts zu tun haben: Zum Zeitpunkt des Todes war er bereits in Gewahrsam.

Bei der Funkzellenauswertung stellt sich raus, dass Clara ihr Smartphone in der Sammelbox eines Wertstoffhofs deponiert hat, bevor sie ins Wasser gegangen ist. Hier findet sich auch das Telefon des zweiten Mädchens, Martha. Dank der Chatverläufe ergeben sich weitere Gemeinsamkeiten: Die beiden gehörten zu einer Umweltbewegung, die gegen ein Bauprojekt am Strand protestiert, und waren regelmäßig in einem ökologischen digitalen Netzwerk unterwegs. Wortführerin ist eine etwas mysteriös wirkende junge Frau namens Zenaida. In einem ihrer Videos zitiert sie Teile des Gedichts "Der Tod des Meeres" von Gabriela Mistral. Mit diesen aus dem Off deklamierten bitteren Zeilen beginnt "Borowski und das ewige Meer" auch: "Eines Nachts starb das Meer von einem Ufer zum andern, sich faltend, schrumpfend, ein Mantel, den man fortnimmt"; sie sind außerdem auf Marthas Rücken tätowiert.

Der Zusammenhang zwischen den mutmaßlichen Suiziden und der ausschließlich aus jungen Leuten bestehenden Öko-Initiative ist offenkundig, ebenso der Einfluss von Zenaida, und natürlich erhoffen sich Borowski und Sahin einige Antworten von der Klima-Aktivistin. Dank einer nicht ganz legalen Aktion findet die in Sachen IT enorm bewanderte Kollegin Paula (Thea Ehre) schließlich raus, von welcher Adresse aus Zenaidas Botschaften verschickt werden. Die Überraschung, die sich dort offenbart, wird allerdings nicht alle Mitglieder der "Tatort"-Gemeinde verblüffen, aber vielleicht hat Regisseurin Katharina Bischof die Videos mit Milena Tscharntke bewusst so gestaltet, dass sie früh erahnen lassen, warum Zenaida wirkt, als sei sie nicht von dieser Welt.

Davon abgesehen ist die Umsetzung des Drehbuchs von Katharina Adler und Rudi Gaul sehr gelungen. Die Novemberbilder verbreiten eine Tristesse, die ausgezeichnet zur Geschichte passt. Die Farben von Kleidung und Einrichtung sind gedeckt; selbst die wenigen bunten Elemente wirken freudlos. 

Kurz vor Drehbeginn ist die Kieler Bucht von einer Sturmflut heimgesucht worden. Kameramann Robert Münchhofen hat die Gelegenheit genutzt, um Impressionen zu sammeln, mit denen die Regisseurin den Opfern ein letztes Geleit gibt. Sehenswert ist "Borowski und das ewige Meer" auch darstellerisch. Das gilt neben Thea Ehre als neues Teammitglied nicht zuletzt für die jungen Mitwirkenden, zumal die Konfrontation der Generationen ein weiteres Thema des Films ist: hier Borowski als Repräsentant all’ Jener, die es verbockt haben, dort die engagierte Leonie (Johanna Götting), deren Altersgruppe die Folgen ausbaden muss. Die Überfliegerin ist erst 18, studiert aber bereits im sechsten Semester Meeresbiologie und fasst Zutrauen zu dem älteren Mann, der sie nach einer Trauerfeier heimfährt und die Gruppe beim Müllsammeln am Strand mit belegten Brötchen versorgt. Allerdings hat er sich nicht als Kommissar zu erkennen gegeben, weshalb sich Leonie prompt verraten fühlt, als seine "Tarnung" auffliegt. Was zunächst wie eine Nebenebene wirkt, entpuppt sich als dramaturgisch geschickte Anbahnung des Finales, als sich die junge Frau ebenfalls dem Zug der Lemminge anschließen will. Um ihr und viele anderen Leben zu retten, muss sich Borowski dem Disput mit der hochintelligenten Zenaida stellen; aber dieses Duell kann er eigentlich nur verlieren.