Hannover (epd). Fünfzehn Jahre nach dem Suizid des früheren Fußball-Nationaltorhüters Robert Enke ist es aus Sicht des Psychiatrie-Professors Marc Ziegenbein trotz vieler Fortschritte immer noch nicht selbstverständlich, mit Depressionen im Leistungssport umzugehen. „Ich fürchte, dass es in vielen Fällen immer noch Nachteile und Repressalien gibt, wenn jemand eine psychische Erkrankung öffentlich macht“, sagte Ziegenbein im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er sei sich nicht sicher, ob ein solches Outen bei den Vereinen überall auf Akzeptanz stoßen werde. „Da sind wir noch immer nicht so weit, wie wir uns es wünschen.“
Ziegenbein ist Ärztlicher Direktor des Wahrendorff Klinikums, eines Fachkrankenhauses für Psychiatrie und Psychosomatik in Köthenwald bei Hannover. Er arbeitet eng mit der Robert-Enke-Stiftung zusammen. Robert Enke (1977-2009) hatte sich am 10. November 2009 im Alter von 32 Jahren das Leben genommen. Der Fußballer von Hannover 96 litt weitgehend unbemerkt an einer Depression. Doch seine Krankheit verbarg er jahrelang vor der Öffentlichkeit. Der Suizid des damals 32-Jährigen löste großes Entsetzen im In- und Ausland aus.
Vor allem dank des Engagements der Robert-Enke-Stiftung sei es inzwischen normaler geworden, über solche Erkrankungen zu reden, sagte Ziegenbein: „Es sind Netzwerke gebildet worden, so dass Sportler in Deutschland jetzt niedrigschwellig und bei Bedarf anonym Kontakte und Behandlungsmöglichkeiten finden.“ Eine absolute Selbstverständlichkeit sei aber noch nicht erreicht. Die Sensibilität für Depressionen müsse von vorneherein in die Systeme des Sports hinein: „Wir brauchen mehr Akzeptanz und mehr Niederschwelligkeit.“
Sportler, die unter einer Depression litten, könnten weiterhin starke Leistungen bringen und sehr erfolgreich sein, unterstrich der Professor: „Depressive haben immer noch einen sehr hohen Anspruch, Dinge perfekt zu machen.“ Wenn es aufgrund von Erschöpfung oder ausbleibender Motivation zu Einschränkungen komme, sinke die Leistungsfähigkeit zwar. Mit einer therapeutischen Begleitung könne sie jedoch wiederhergestellt werden: „Grundsätzlich lässt sich die Erkrankung gut behandeln.“
Die Ursachen für Depressionen im Leistungssport seien vielschichtig. Zwar könnten der permanente Leistungsdruck und der Konkurrenzkampf dazu beitragen, dass eine Erkrankung entstehe. „Da ist schon ein wahnsinniger Druck drauf“, sagte Ziegenbein. „Aber wenn wir genau hinschauen, finden sich oft komplexe Konstellationen. Da können auch noch private Belastungen dazukommen. Es ist also nicht allein der sportliche Druck.“