Erfurt (epd). Für die Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Gründung des katholischen Bistums Erfurt im Jahre 1994 sind 78 Betroffene von sexuellem Missbrauch in Thüringen identifiziert worden. Verantwortlich für die Taten seien insgesamt 54 Täter, davon 25 Kleriker, berichtete die unabhängige Kommission zur Aufklärung der Taten am Dienstag in Erfurt. Insgesamt seien bis heute 338.500 Euro an Anerkennungsleistungen ausgezahlt worden.
Die Kommission hat laut Bischof Ulrich Neymeyr alle bis Oktober 2021 aktenkundigen 60 Fälle untersucht. Seitdem seien weitere 18 Taten von 14 Tätern hinzugekommen. Neymeyr sprach von „entsetzlichen Taten, die kein Randphänomen innerhalb der Kirche gewesen sind“. Er bat mögliche weitere Betroffene, sich beim Bistum zu melden.
Auch die Vorsitzende der Kommission, Ulrike Brune, geht davon aus, dass es sich bei den identifizierten Fällen nur um einen Bruchteil der tatsächlichen Taten handelt. Das Spektrum reiche von Grenzverletzungen wie einer sexualisierten Sprache oder unangemessenen Berührungen bis hin zu Vergewaltigungen in wenigstens sieben Fällen.
Nicht immer sprechen die Akten laut Brune eine eindeutige Sprache. Wo etwa ein in seiner Gemeinde beschuldigter Priester laut Aktenlage regelmäßig auch kirchliche Heime besuchte, bleibe es bei einem Verdacht auf weitere Taten. Ein Beschuldigter habe selbst von etwa 40 Opfern gesprochen. Nach entsprechenden Aufrufen hätten sich jedoch nur zehn Personen gemeldet.
Viele Taten ereigneten sich in kirchlichen Heimen. Aber auch Messdiener oder erwachsene Bewohner in Altenheimen seien Opfer geworden. In einem besonders perfiden Fall habe ein kirchlicher Mitarbeiter seine sexuellen Fantasien dahingehend ausgelebt, dass er seinem Opfer vorgegaukelt habe, eine wissenschaftliche Studie durchzuführen.
Es sei unverzichtbar, dass die kirchlichen Träger ihre Einrichtungen regelmäßig besuchen und mit den Schutzbefohlenen reden, hieß es. Es müssten niederschwellige Strukturen geschaffen werden, die es etwa Jugendlichen leicht machen, ihre Not zum Ausdruck zu bringen.
Aufgrund des langen Zeitraums der Untersuchung seien viele Täter und Opfer verstorben und die meisten Taten verjährt. Gegen zwei Priester werde noch ermittelt. Einer sei suspendiert, der andere stehe in seinem Dienst unter strenger Aufsicht.
Ausdrücklich unzufrieden zeigte sich die unabhängige Kommission mit der Entscheidung von Bischof Neymeyr, den Bericht trotz weitgehender Anonymisierungen nicht zu veröffentlichen. Neymeyr begründete seine Entscheidung mit datenschutzrechtlichen Bedenken. In dem Bericht befänden sich psychologische Gutachten von Tätern oder privaten Problemen, die mit den Taten nicht in Verbindung stehen.
Die Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs durch Priester und kirchliche Mitarbeiter im Bistum Erfurt war 2021 durch Neymeyr eingerichtet worden. Neben Experten arbeiten auch Betroffene in dem Gremium mit.