TV-Tipp: "Unter anderen Umständen: Nordwind"

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21. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Unter anderen Umständen: Nordwind"
Als der Krimi im November 2023 gedreht wurde, hieß er noch "Im freien Fall". Das ist zwar ebenfalls ein "Allerweltstitel", hat aber immerhin im konkreten wie im übertragenen Sinn einen direkten Bezug zur Handlung, denn die kommt in Gang, als ein Mann vom Pferd stürzt.

"Nordwind" ist als Titel für einen Krimi aus Flensburg sicher nicht verkehrt, klingt aber auch etwas beliebig, selbst wenn es sich analog zur Buch- und Filmreihe "Ostwind" um einen Pferdenamen handeln könnte; Pferde spielen in der Tat eine wichtige Rolle in dieser 23. Episode der ZDF-Reihe "Unter anderen Umständen". Als der Krimi im November 2023 gedreht wurde, hieß er noch "Im freien Fall". Das ist zwar ebenfalls ein Allerweltstitel, hat aber immerhin im konkreten wie im übertragenen Sinn einen direkten Bezug zur Handlung, denn die kommt in Gang, als ein Mann vom Pferd stürzt.

Gerade noch ist Andreas Falkenberg mit Tochter Toni wie jeden Sonntag auf der üblichen Strecke um die Wette geritten, da liegt der Gestütbesitzer auch schon tot auf dem Boden. Er hatte einen großen Vorsprung, und als der Weg eine Kurve machte und der Vater für Toni außer Sicht war, gab es einen Knall. Offenbar hat sich sein Pferd erschreckt und ihn abgeworfen. Allerdings weist sein Hals eine Schnittwunde auf, die nicht vom Sturz herrühren kann, und daher vermutet die Polizei, dass der vermeintliche Reitunfall ein Anschlag war. 

Als Täterin drängt sich geradezu Hofhilfe Smilla auf, die vierzig Jahre lang auf dem Gestüt gearbeitet hat; sie ist entlassen worden, weil sie während der Arbeit getrunken hat. Leslie Malton ist einer der Gründe, sich diesen Film anzuschauen. Ihr verhärmtes Gesicht ist das Ergebnis eines sorgfältigen Maskenbilds, aber der Rest ist großes Schauspiel. Das gilt auch für die Racke-rauchzart-Stimme; Malton klingt, als hätte sie vor ihren Dialogszenen mit Heftzwecken gegurgelt. Fräulein Smilla gerät in Verdacht, weil sie sich auf perfide Weise an einer Sachbearbeiterin gerächt hat: Sie hatte den Smillas Wohngeldantrag abgelehnt, also hat die Alkoholikerin über die gewohnte Radroute der Frau eine Angelschnur gespannt.

Auf die gleiche Weise ist wohl auch Falkenberg vom Pferd geholt worden. Natürlich belässt es das Drehbuch (Judith Westermann, Christopher von Delhaes) nicht bei dieser einen Spur. Ihr ehemaliger Chef, sagt Smilla, habe "aufs falsche Pferd gesetzt", und das meint sie durchaus wörtlich. Tatsächlich findet Jana Winter (Natalia Wörner) raus, dass der Züchter in Pferdewetten verstrickt war; womöglich gab es Streit mit seinem Auftraggeber (David Bredin). Als Kollegin Alwa (Lisa Werlinder) die Bewegungsdaten von Falkenbergs Smartphone auswertet, stößt sie auf ein Detail, das den Fall in gänzlich neuem Licht erscheinen lässt. 

Darstellerisch ist "Nordwind" nicht nur wegen der prominenten Besetzung interessant, auch die junge Cloé Heinrich macht ihre Sache als Toni sehr gut, zumal sich die Geschichte mehr und mehr zum Familiendrama entwickelt: Mutter Falkenberg (Claudia Rieschel) will die Leitung des Gestüts ihrem zweiten Sohn Lasse (Steven Scharf) übergeben, was Schwiegertochter Freya (Franziska Hartmann) natürlich gar nicht schmeckt. Wie aus dem Nichts taucht zudem eine Tierärztin (Henny Reents) auf, deren Rolle lange unklar bleibt.

Gute Voraussetzungen also für einen auf mehreren Ebenen fesselnden Krimi, selbst wenn die Handlung insgesamt nicht gerade originell ist. Bedauerlicherweise gilt das noch mehr für die über weite Strecken einfallslose Inszenierung: Immer wieder fährt Winter – mal allein, mal mit Alwa, mal in Begleitung des Kollegen Hamm (Ralph Herforth) – irgendwo vor, um Leute zu befragen; das wird recht bald recht einnötig. Fast ein bisschen peinlich sind zudem die Reitszenen.

Beim gestreckten Galopp saßen offenbar weder Wörner noch Franziska Hartmann im Sattel, weshalb bei den Nahaufnahmen bloß die Gesichter der Schauspielerinnen sowie die sich auf und ab bewegenden Ohren der Pferde zu sehen sind; das wirkt filmisch ziemlich unbeholfen. Ziska Riemann hat einige flotte und sehr unterhaltsame Kinofilme gedreht ("Lollipop Monster", "Electric Girl", "Get Lucky – Sex verändert alles").

Die zu Beginn des Jahres ausgestrahlte 22. Episode der Reihe ("Dominiks Geheimnis") war nach einigen Folgen für die ZDF-Serie "Jenseits der Spree" ihr erster Fernsehfilm und gleichfalls sehenswert, was sicherlich auch am Drehbuch von Zora Holt lag; das ungewöhnlichste Element von "Nordwind" sind die Hintergrundinformationen über Manipulationen bei Pferderennen. "Unter anderen Umständen" lag lange in den Händen von Regisseurin Judith Kennel, die dabei oft mit Kamerafrau Nathalie Wiedemann zusammengearbeitet hat. Die beiden haben eine "Nordic Noir"-Atmosphäre kreiert, die zu einem Markenzeichen der Reihe wurde; davon ist in "Nordwind" trotz der winterlichen Stimmung nicht viel übrig geblieben.