Springhart zur Rechtfertigungslehre

Heike Springhart, Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Baden
epd-bild/Uwe Anspach
Im Windschatten der Rechtfertigungslehre begegne einem in der Kirche "nicht selten" ein Verständnis von Vergebung, das für Betroffene von sexualisierter und anderer Gewalt schwer erträglich sei, schreibt Landesbischöfin Heike Springhart.
"Pointe der Reformation"
Springhart zur Rechtfertigungslehre
Badens evangelische Landesbischöfin Heike Springhart bezeichnet die Rechtfertigungslehre in einem Beitrag für eine Kirchenzeitung als befreiende Erkenntnis und "Pointe der Reformation".

Auch als Sünder sei der Mensch allein aus der Gnade Gottes gerechtfertigt und nicht aus eigenem Verdienst, schreibt die Bischöfin in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der katholischen Kirchenzeitung "Konradsblatt". Angesicht aktueller Herausforderungen müsse sich die evangelische Theologie jedoch fragen, ob diese Aussage "den Blick für die Macht schwerwiegender Schuldzusammenhänge verstellt", beispielsweise bei sexualisierter Gewalt, hebt Springhart anlässlich der "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" hervor. Diese Erklärung wurde am 31. Oktober 1999 von Vertretern des Vatikans und des Lutherischen Weltbundes in Augsburg unterzeichnet.

Im Windschatten der Rechtfertigungslehre begegne einem in der Kirche "nicht selten" ein Verständnis von Vergebung, das für Betroffene von sexualisierter und anderer Gewalt schwer erträglich sei, schreibt die Theologin weiter. Dass sich die Kirche mit den schuldigen Tätern leichter tue als mit den unschuldigen Opfern, treffe nicht nur für die katholische, sondern auch für die evangelische Kirche zu.

Gott mute durch sein Gesetz, der Tora, dem Menschen zu, Verantwortung für sein Handeln und für sein Unterlassen zu übernehmen. "Weil Christus die Schuld aller Menschen auf sich genommen hat, müssen wir schonungslos und klar dorthin schauen, wo Menschen an anderen schuldig geworden sind", fordert Springhart. 

Selbsterlösung ist nicht möglich

Der Streit um die aus der Bibel abgeleitete Lehre von der Rechtfertigung spaltete am Ende des Mittelalters die Christen in Europa. Dabei ging es um das Zentrum ihres Glaubens: Wie bringt der Mensch sein Verhältnis zu Gott in Ordnung? Wie findet ein sündiger Mensch Gnade vor Gott? Katholiken und Protestanten beantworteten diese Fragen unterschiedlich und gingen seit dem 16. Jahrhundert getrennte Wege. Vor allem mit der Rechtfertigungslehre grenzten sich beide Kirchen rund 500 Jahre lang voneinander ab. 

Martin Luther (1483-1546) und andere Reformatoren machten die Lehre zur Kernthese der Reformation. Danach kann ein Mensch sich nicht durch Leistung - wie Gebete, Wallfahrten oder Spenden - selbst erlösen. Das Seelenheil wird ihm vielmehr von Gott "allein durch den Glauben" geschenkt. So interpretierte bereits der Apostel Paulus Mitte des ersten Jahrhunderts die Botschaft Jesu von der unmittelbaren Liebe Gottes zu den Menschen. Luther hatte dies für seine Zeit neu übersetzt. Seine "reformatorische Entdeckung" sah er als große Befreiung von angsteinflößenden religiösen Gesetzen, die kaum ein Mensch erfüllen kann.

Die von Luther geforderten Reformen führten nicht nur zur Gründung der evangelischen Kirchen, auch die römisch-katholische Kirche hat sich seitdem grundlegend reformiert. Damals von beiden Seiten ausgesprochene Lehrverurteilungen gelten heute nicht mehr. Ein Schlussstrich unter dieses Kapitel der Kirchengeschichte wurde vor 25 Jahren, am 31. Oktober 1999, gezogen: In Augsburg unterzeichneten Vertreter von Vatikan und Lutherischem Weltbund die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Darin stellen beide Seiten ihre grundsätzliche Übereinstimmung fest. Inzwischen hat sich der Weltrat Methodistischer Kirchen und die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen der Erklärung angeschlossen. Praktische Auswirkungen gibt es bislang nicht.