Chef von Hilfswerk: Der Hunger in Gaza ist vermeidbar

Chef von Hilfswerk: Der Hunger in Gaza ist vermeidbar
Zwischen Abwasser und Müll: UNRWA-Chef Philippe Lazzarini erinnert an die prekäre Lage der Menschen im Gazastreifen und warnt vor einem von Israel geplanten Verbot seines Hilfswerks. Ähnliche Attacken auf die UN könnten auch anderswo passieren.

Berlin (epd). Die Vereinten Nationen warnen angesichts des nahenden Winters und fehlender humanitärer Hilfe vor einer Hungersnot im Gazastreifen. „Der Hunger in Gaza ist künstlich erzeugt worden, er ist vermeidbar. Wir kennen die Lösung dafür“, sagte der Generalkommissar des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Philippe Lazzarini am Mittwoch in Berlin. Es müssten mehr Lebensmittelkonvois in das palästinensische Gebiet gelassen werden.

Lazzarini zufolge sind in den vergangenen drei Wochen, mit einer Ausnahme am Dienstag, keine Konvois in den Norden des Gazastreifens gelassen worden. Dort gibt es demnach immer noch schwere Gefechte und rund 400.000 Menschen können das Gebiet nicht verlassen.

Der Rest der insgesamt zwei Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser sind in den Süden geflohen. Auch dort lässt die israelische Armee an den Kontrollpunkten nur 50 bis 60 Lebensmittelkonvois in den Gazastreifen, sagte Lazzarini. Die benötigte Zahl sei jedoch viel höher. Hinzu komme, dass die wenigen Lebensmitteltransporte, die das Gebiet erreichen, häufig von rivalisierenden Banden geplündert würden.

Der Chef des UN-Hilfswerks zeigte sich auch besorgt über die Situation der humanitären Helferinnen und Helfer. 229 der insgesamt 300 getöteten humanitären Helferinnen und Helfer seit Oktober 2023 seien Mitarbeitende von UNRWA gewesen. „Der Gazastreifen versetzt selbst die erfahrensten humanitären Helfer in Schrecken“, sagte Lazzarini. Es sei zu einer Art unbewohnbaren Ödlands geworden, in dem Menschen ums Überleben kämpften. Besonders prekär sei die Lage von Kindern, die zwischen „Abwasser und Bergen von Müll“ lebten.

Deutliche Kritik übte Lazzarini an den Plänen des israelischen Parlaments zum Verbot der UNRWA in den besetzten Palästinensergebieten. Der Generalsekretär warnte, dass ein solcher Schritt eine Schwächung des multilateralen Systems bedeute und sich vergleichbare Angriffe auf UN-Institutionen auch anderswo wiederholen könnten.

Lazzarini forderte die UN-Mitgliedsstaaten auf, sich nicht nur für einen Waffenstillstand einzusetzen, sondern einen „echten, politischen Prozess“ in Gang zu setzen. In einer solchen Übergangsphase sei die Arbeit von UNRWA von zentraler Bedeutung, weil sie Palästinenserinnen und Palästinensern unter anderem mit Bildung und Gesundheitsangeboten versorgen könne.

Lazzarini nahm auch zu den Terrorismusvorwürfen gegen seine Organisation Stellung. Er sprach von einer „Null-Toleranz-Politik“, die bei UNRWA herrsche. Sollten weitere Fälle bekannt werden, werde man entsprechend handeln, versprach Lazzarini. Derzeit gebe es keine offenen Ermittlungen. Die Hälfte der verdächtigten Mitarbeitenden sei entlassen worden, gegen die anderen gebe es nicht genügend Anhaltspunkte.

Israel bezichtigte zwölf UNRWA-Mitarbeiter, an dem verheerenden Terrorangriff auf den jüdischen Staat im Oktober 2023 beteiligt gewesen zu sein - später kamen Vorwürfe gegen weitere Personen hinzu. Danach hatten Deutschland und andere Geber die finanzielle Hilfe für das Hilfswerk zwischenzeitlich gestoppt.

Nach einem Untersuchungsbericht der UN, in dem 50 konkrete Empfehlungen zur Verbesserung der UNRWA-Strukturen ausgesprochen wurden, hat die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit der Organisation in Gaza wiederaufgenommen.