Frankfurt a.M. (epd). Der jüdische Erziehungswissenschaftler Doron Kiesel sieht Angehörige seiner Religion nach dem 7. Oktober 2023 einer „brutalen Einsamkeit“ in Deutschland ausgesetzt. Doron berichtete am Jahrestag des Hamas-Massakers in Israel von dessen Auswirkungen für Jüdinnen und Juden in Deutschland. Der wissenschaftliche Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland sagte am Montag in Frankfurt am Main, an den Hochschulen herrsche weithin ein Desinteresse, Verleugnen oder gar Aggression gegen die jüdischen Opfer. „Die Opfer waren nicht der Rede wert“, sagte Kiesel.
Eine Rolle spiele an den Hochschulen die postkoloniale Debatte, die behaupte, der Zionismus sei eine Form des Kolonialismus, erklärte Kiesel. Diese Behauptung ignoriere die Geschichte: Der Zionismus sei keine Besetzung eines Landes zum Zweck der Ausbeutung gewesen. Diese Bewegung habe als Reaktion auf den europäischen Antisemitismus einen Fluchtort und selbstbestimmten Lebensort für Juden gesucht.
Hinzu komme in Deutschland der Antisemitismus auf der Straße, der bedrohlich werden könne. So habe ihm in der Berliner S-Bahn ein Migrant, der ihn Hebräisch reden hörte, gesagt: „Wenn wir jetzt in Palästina wären, würde ich dir den Kopf abschneiden.“ Kiesel nannte es die „große Enttäuschung“ der vergangenen zwölf Monate, dass die Annahme getrogen habe, die Vorstellung von der Gleichwertigkeit aller Menschen sei tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelt.
„Auf einmal haben wir es wieder in Deutschland mit einer gesellschaftlichen Kultur zu tun, die voller Ressentiments ist“, prangerte der Erziehungswissenschaftler an. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger müssten Angst um das Wohlergehen ihrer Kinder an Schulen haben, sie fühlten seit einem Jahr eine „tiefe Einsamkeit“. Für sein Fach forderte Kiesel, dass Studierende der Erziehungswissenschaften ein Modul „Erziehung nach Auschwitz“ wie an der Universität Frankfurt am Main belegen sollten. „Wenn wir das vergessen, dann gute Nacht“, sagte er.