Berlin (epd). Am Jahrestag des Terror-Angriffs der Hamas auf Israel sieht der Zentralrat der Juden in Deutschland die Jüdischen Gemeinden in einem anhaltenden Ausnahmezustand. Einer am Montag in Berlin veröffentlichten Befragung zufolge ist das Unsicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden weiter gestiegen. Zentralrats-Präsident Josef Schuster warnte, der Ausnahmezustand dürfe niemals Normalität werden. Schuster bezeichnete die fehlende Empathie für Jüdinnen und Juden als ein gewaltiges Problem für die gesamte Gesellschaft.
In einer Online-Befragung des Zentralrats gaben knapp zwei Drittel der Führungskräfte (63 Prozent) negative Auswirkungen des Krieges in Gaza und Israel auf ihre Gemeinden an. Dazu zählen sie die Angst vor Angriffen und weniger Besucher. Zugleich geht den Angaben zufolge die Solidarität der Gesellschaft zurück. Während Ende 2023, bei einer ersten Umfrage unter den Gemeindeleitungen, noch 62 Prozent erklärten, sie erführen Solidarität, waren es bei der aktuellen Befragung von Mitte August bis Mitte September 2024 nur 39 Prozent.
Die Zusammenarbeit mit den Kommunen und örtlichen Behörden wird von den Jüdischen Gemeinden hingegen weit überwiegend positiv bewertet. Mit den Sicherheitsbehörden sind die Leitungen zu 93 Prozent zufrieden. Fast jede zweite Gemeinde (42 Prozent) verzeichnete im Verlauf dieses Jahres antisemitische Vorfälle, die den Behörden gemeldet wurden. 82 Prozent der Führungskräfte sagen, es sei unsicherer geworden, als Jude oder Jüdin in Deutschland zu leben. Das sind noch einmal vier Prozent mehr als Ende 2023.
Schuster erläuterte, für die Gemeinden sei die eigentlich beabsichtigte Öffnung nach außen schwierig geworden. Wer nicht Mitglied sei, müsse sich beispielsweise für einen Gottesdienst anmelden. Dabei sei eine Synagoge „normalerweise ein offenes Gotteshaus“, betonte Schuster. An der Umfrage nahmen 98 von 105 im Zentralrat organisierte Gemeinden teil.
Das Bundesinnenministerium stuft seinerseits die Bedrohungslage als hoch ein. Ein Sprecher sagte in Berlin, seit dem 7. Oktober 2023 hätten sich die antisemitischen Straftaten verdoppelt. Von rund 8.500 politischen Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt seien knapp 3.500 als eindeutig antisemitisch eingestuft.
Der israelische Botschafter Ron Prosor bezeichnete den ersten Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel als schweren Tag für sein Land. Er betonte im Inforadio des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Zehntausende Israelis seien Flüchtlinge im eigenen Land. „Wir in Israel fühlen uns, als ob wir umzingelt sind von Feinden, die uns eigentlich vernichten wollen“, sagte er.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte der „Rheinischen Post“ (Montag), er beobachte eine Verharmlosung von Islamisten in Deutschland. Der deutsche Diskurs habe sich radikalisiert und verhärtet, gerade auch im universitären Milieu.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) bezeichnete das entschiedene Eintreten gegen Antisemitismus als wichtige Aufgabe für die Kulturpolitik. Jeglichen Formen von Boykott israelischer und jüdischer Künstlerinnen und Künstler werde sie weiter entschieden entgegentreten, erklärte Roth.
Am 7. Oktober 2023 überfielen palästinensische Terroristen Israel, töteten etwa 1.200 Menschen und verschleppten mehr als 250 als Geiseln, die teilweise bis heute in der Hand der Hamas sind. Die Terror-Attacke war der Auslöser des Gaza-Kriegs mit mehreren Zehntausend Toten auf palästinensischer Seite, der bis heute anhält.