Greifswald (epd). Für viele evangelische Christen ist er ein fester Termin im Kalender, der alle zwei Jahre stattfindende Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT). „Zeitansage“ will er sein und als evangelische Laienbewegung eine Schnittstelle bilden zwischen Kirche und Welt. Am kommenden Wochenende feiert der Kirchentag seinen 75. Geburtstag in Greifswald. Dabei muss er sich auch die Frage seiner eigenen künftigen Bedeutung stellen, denn die Teilnehmerzahlen der kirchlichen Großveranstaltung sind rückläufig.
Doch „Kirchentag ist kein Auslaufmodell“, sagt der Greifswalder Kirchenhistoriker Thomas K. Kuhn. „Er ist zwar etwas kleiner geworden, aber es braucht kirchliche Großveranstaltungen über landeskirchliche Grenzen hinweg - auch und vor allem für die, denen ihre Kirchengemeinde manchmal vielleicht etwas provinziell vorkommt.“ Und die Generalsekretärin des DEKT, Kristin Jahn, pflichtet ihm bei: „Wenn ich in die Gesellschaft schaue, brauchen wir den Kirchentag mehr denn je als Plattform, damit engagierte Menschen etwas Neues auf die Straße bringen.“
Der Kirchentag biete eine Diskursplattform für die Frage, „wie leben wir denn jetzt weiter in diesem Land - auch, und vor allem angesichts der letzten Wahlerfolge der AfD in Thüringen und Sachsen“, sagt Kristin Jahn und positioniert den Kirchentag auch im Umgang mit der vom Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextrem eingestuften Partei. Klar sei, man werde die Menschen nur einzeln zurückgewinnen. „Es hilft uns nur der Dialog. Wir sind offen für alle, gleich, welche Partei jemand gewählt hat. Aber wir geben jenen keine Bühne, die menschenverachtende Positionen vertreten.“
Mit dem Kirchentag in Greifswald gehen die Veranstalter ganz bewusst zurück zu den Wurzeln der Laienbewegung. Der erste Kirchentag 1949 wurde zwar in Hannover gefeiert. Doch die Gründer waren ein Freundeskreis um den Juristen Reinold von Thadden-Trieglaff, einem gebürtigen Pommern. Nach der Erfahrung im Zweiten Weltkrieg, dass die Amtskirche kaum Widerstand gegen den Nationalsozialismus leistete, wollten er und andere die evangelische Laienbewegung stärken.
In der Rückschau auf die lange Geschichte der Kirchentage stehe jedoch meist die westdeutsche Tradition im Fokus, sagt Kirchenhistoriker Kuhn. „Es ist zwar bekannt, dass es auch in der DDR Kirchentage gab.“ Aber die seien im Westen häufig zu wenig wahrgenommen worden. Deshalb sei es „um so erfreulicher“, dass die Feierlichkeiten und das zentrale Forschungskolloquium (19. bis 21. September) zu 75 Jahre DEKT zum Thema „Auf der Suche nach Frieden. Debatten auf den Kirchentagen in Ost und West seit 1949“ im Osten stattfinde.
Die Feierlichkeiten starten am Freitagabend (20. September) mit einem Gottesdienst im Dom St. Nikolai, in dem Bischof Tilman Jeremias predigt. Bei der „Nacht der Lichter“ soll der Greifswalder Marktplatz im Schein vieler Kerzen leuchten. Zum Festprogramm am Samstag (21. September) gehört der Auftritt des Liedermachers Gerhard Schöne. Als Gäste auf dem Roten Sofa werden Oksana Schorlemmer, die ukrainischen Geflüchteten in Deutschland hilft, und Bischof Friedrich Kramer, Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland, erwartet. Beim Abschlussgottesdienst wird Generalsekretärin Kristin Jahn predigen.
Für Thomas K. Kuhn ist der Kirchentag „einer der größten gesellschaftlichen Player in der westdeutschen Nachkriegszeit“. Die Kirchentage in der DDR hätten einen anderen Charakter gehabt. „Und trotz Bespitzelung durch die Stasi hat es einen bestimmten Freiraum gegeben, den es in anderen Bereichen der Gesellschaft nicht gab.“ Doch neben dem Blick zurück stehen für die Forschenden auch aktuelle Fragen im Fokus. „Wir müssen uns damit beschäftigen, wie gehen wir mit den Archivalien um - Stichwort Digitalisierung“, sagt Kuhn.
Ihm sei wichtig, „dass der Kirchentag auch zukünftig ein kritisches und kreatives Forum für Laien bleibt und sich seine Selbstständigkeit bewahrt“. Generalsekretärin Jahn sagt: „Wir können uns nicht von Mitgliederzahlen treiben lassen.“ Sie ist überzeugt: „Wir gehen in eine andere Zeit. Eine Zeit, in der wir mit Gott in der Pampa unterwegs sind. Und dafür brauchen wir eine Zukunftserzählung. Wenn wir sagen: Ich lobe meinen Gott, dann bedeutet Kirchentag, dass wir unsere christliche Haltung sichtbar feiern.“