Christliche Theologie ohne Abwertung von Juden

Antisemitisches Buntglasfenster zur Geisselung Jesu
epd-bild/Susanne Schroeder
Höhnisch feixend umringen auf dem Buntglasfenster in der evangelischen Kreuzkirche in Oberammergau drei Häscher den gefesselten Jesus. Ihre Gesichter sind Prototypen des Juden-Klischees, ebenso die dunkelgelben Schuhe - der Farbe, die von Antisemiten synonym fürs Judentum verwendet wird.
Podcast gegen Antisemitismus
Christliche Theologie ohne Abwertung von Juden
Die christliche Theologie ist durchzogen von Antisemitismus – das versucht man im christlich-jüdischen Dialog seit Jahrzehnten aufzuarbeiten. Doch das reicht nicht, daher will die Evangelische Akademie zu Berlin in ihrer Podcastreihe "Bildstörungen" die alte christliche Judenfeindschaft benennen und unschädlich machen.

Die evangelische Theologin Karoline Ritter von der Universität Greifswald ist überzeugt: Antisemitismus verschwindet nicht, indem man die antisemitischen Bilder einfach zerstört. Dafür sei der Antisemitismus zu tief verwurzelt in christlichen theologischen Auslegungen. In ihrer Podcast-Reihe "Bildstörungen" der Evangelischen Akademie zu Berlin will Ritter der "latenten Abwertung" des Alten Testaments gegenüber dem Neuen Testament nachspüren.

Ritter benennt im Podcast Beispiele aus der Bibel im Gespräch mit Judaisten und Theologen oder Soziologen, um so einen Prozess der Bewusstwerdung in Gang zu setzen. Das fängt schon damit an, dass die Bezeichnung Altes und Neues Testament eine Herabsetzung des Judentums beinhaltet und das Judentum quasi als überholt gilt. Alle Aussagen von Propheten aus der Bibel, etwa von Jesaja werden nur als Vorlage für Jesu Wirken interpretiert. Solche Texte werden zu Weihnachten in Kirchen gelesen und an der Universität so rezipiert, dass man in Jesajas Worte "Jesus hineinliest".

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Das Alte Testament, also die hebräische Bibel der Juden, werde häufig nur als Gesetzesreligion gerahmt, die überholt sei. Während das Neue Testament als die "Lehre der Liebe" dem gegenübergestellt werde. Dabei sei Jesus ein zutiefst jüdisch geprägter Lehrer und Prediger gewesen. Liebe und die Suche nach Gerechtigkeit hätten auch das Judentum tief geprägt. Die Theologin möchte hier mehr Ehrlichkeit, denn: "Es gibt Antisemitisches im Christentum und es gibt Antisemitisches in christlicher Theologie", sagt sie. "Es ist dem Kampf gegen Antisemitismus extrem zuträglich, wenn man einfach eine gewisse Ehrlichkeit diesem Faktum gegenüber hätte."

Ein Beispiel: Die jüdische Ethik werde oft auf das Bibelzitat "Auge um Auge, Zahn um Zahn" reduziert. Ein verzerrtes christliches Bild, denn in der jüdischen Ethik geht es konkret um die angemessene Entschädigung, nicht um Rechtfertigung von Vergeltung, die eine Gewaltspirale in Gang setzt. Es geht darum, "wie kann jemand entschädigt werden, dem Gewalt angetan wurde. Es geht um Gerichtsbarkeit." Nach der christlichen Auslegung werden Jesu Worte in der Bergpredigt als über dem Judentum stehend gerahmt. Und Jesu Worte werden dann gerne als "Liebesethik" gedeutet, als ob es die im Judentum nicht gegeben hätte. 

Auch die christliche Kunstgeschichte sei oft von einer "Brutalität der Bilder" geprägt, in der alles Jüdische abgewertet werde, sagt Karoline Ritter. So werde die Jesusmutter Maria oft als die "neue Eva" dargestellt. Maria steht dann auf dem Kopf von Eva, der jüdischen Frau. Ein Bild aus der Apokalypse, der Johannesoffenbarung. Ritter findet es verstörend, "welche brutalen Bilder das Christentum gefunden hat, um die jüdische Tradition, von der das Christentum eigentlich zehrt, zu negieren und abzuschlagen".

Ihrer Ansicht nach ist die Auseinandersetzung mit christlichem Antisemitismus einfach eine Auseinandersetzung mit der Geschichte. Das habe eine "dauerhafte narzisstische Kränkung" ausgelöst. Christliche Theologen und Theologinnen seien irgendwie nicht klar gekommen damit, dass "die jüdische Mutterreligion eine verbrüderte Religion ist".

 Im Podcast werden die christlich überformten Lesarten des Judentums benannt. Und so geht es darum, eine andere Erzählweise anzubieten. Zwar gebe es Theologen, die sich damit auseinandersetzten. Aber bislang sieht Ritter keinen richtig breitenwirksamen Umgang mit Antisemitismus. Und die Verneinung von Antisemitismus verhindere einen konstruktiven Umgang. Einordnende Plaketten unter Judenschmähungen an Kirchen seien daher wichtig. Aber es gehe noch mehr darum, eine Haltung einzuüben, sich immer wieder klar zu machen, wie Antisemitismus funktioniert, selbst wenn man sich selbst nicht als antisemitisch versteht. Denn die Bilder könne man trotzdem im Kopf haben.

Karoline Ritter spürt den christlich-theologischen Traditionslinien hinter den aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus nach.

Ein Beispiel: Es gibt Ausdrücke, jemand sei pharisäerhaft oder wie ein Pharisäer. "In christlicher Sozialisation erscheinen Pharisäer sehr oft als Feinde von Jesus, gegen die man sich auflehnen muss, weil sie das Gesetz viel zu eng auslegen gegenüber Jesus", so Ritter. Dahinter steht die Vorstellung, das Jüdische sei "gesetzlich und starr und auch heuchlerisch". In einer kritischen Theologie möchte man Pharisäer aber gar nicht abwerten wollen. 

Theologisch weiter entfernt, aber im deutschen Sprachgebrauch verbreitet, ist die negative Verwendung ursprünglich jiddischer Wörter. So bezeichnet "Mischpoke" eigentlich nur Verwandtschaft – nichts Negatives oder gar Heuchlerisches. "Wenn man die Verbindung zu antisemitischen Stereotypen erkennt, wie es im deutschen Sprachgebrauch verbraucht wird, dann verwendet man dieses Wort nicht mehr", ergänzt Ritter. Dann habe es seine "Anrüchigkeit oder Schlagkraft verloren". Ähnlich sei es beim Wort "Mauscheln": Das Wort ist nicht jiddischer Herkunft, aber man diffamierte damit Juden, indem man den jüdischen Händlern betrügerische Motive und Absprachen unterstellte.

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Bei dem Projekt "Bildstörungen" auf YouTube gehe es aber nicht darum, zu erlernen, was richtig und was falsch sei, sondern um Auseinandersetzung und Bewusstmachung. Ritter spricht sich auch gegen Wort-Verbote aus.  Es sei ehrlich gegenüber Jüdinnen und Juden, sich mit der Geschichte der Begriffe auseinander zu setzen. Unreflektiert könnten die antijudaistischen Begriffe weiterwirken.

Die Theologin verweist auf die Folgen der Reproduktion antijüdischer Klischees in der christlichen Theologie: Die Begriffe tragen laut Ritter "krass dazu bei, dass Juden und Jüdinnen nicht als das wahrgenommen werden, was sie sind", als Glaubensgeschwister. Stattdessen werden die Juden als Vertreter einer "irgendwie exotischen oder archaischen Religion" gesehen, die dann auch geopfert werden könnten. Da hänge einfach "die christliche Theologie viel zu stark damit zusammen, was den Boden für Antisemitismus und auch für antisemitische Gewalt bereitet hat".

Aufnahme des Podcats "Bildstörungen"im "Studio" der Evangelischen Akademie zu Berlin mit Karoline Ritter und Katharina von Kellenbach (links).

Und so ein latenter Antisemitismus, der könne schon im Kindergottesdienst mitgegeben werden, sagt Ritter. Etwa bei der Vermittlung der Passionsgeschichte. Wie manche biblischen Geschichten erzählt werden und welcher Fokus gelegt wird. Etwa wie vom Jünger Judas erzählt wird. Oft wird weitergegeben, dass es da eine Art von Verschwörung von Hohepriestern gab, die zum Tod Jesu führte. Es werde nicht auf die Römer als Machthaber und Entscheider in dieser Zeit verwiesen, sondern oft einzig auf Judas, der dann als der jüdische Verräter für das Böse schlechthin stehe. Der dafür auch noch Geld bekommen haben soll. Man sollte nach Ansicht von Ritter verstehen, dass solche antisemitischen Bilder nichts mit tatsächlichen Juden und Jüdinnen zu tun haben. Und dieses Bild vom Juden Judas als "Christusmörder" führte ja zu einem Wahn, der später auch in Judenverfolgungen endete.

Dabei könnte man in einer christlichen Rezeption darauf verweisen, dass nicht nur Judas der eine Böse in der Jüngergruppe gewesen sei, sondern auch die anderen Jünger Jesus verlassen, verleugnet und ihn nicht verteidigt hätten. Theologin Karolin Ritter hat eine Hoffnung: wenn Menschen die Mechanismen des Antisemitismus durchschauen lernen, lehnen sie solche ausgrenzenden Zuschreibungen von verschwörerischen Machenschaften einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe einfach ab.

Dazu braucht es aber die Auseinandersetzung und die komme leider nie an ein Ende. Im Israel-Gaza-Konflikt wird derzeit ein Bild tradiert, dass Israel als Kindermörder rahmt. Im Bild des Jesuskindes im Palästinensertuch, das in Gaza ermordet wird. So gibt es immer wieder neuen antijudaistischen Stoff. Die Theologinnen zeigen wie solche Bilder funktionieren.

Die Evangelische Akademie zu Berlin hat gerade eine neue Staffel ihrer Podcast-Serie "Bildstörungen" auf YouTube veröffentlicht - mit einem Schwerpunkt zum Israel-Gaza-Konflikt. In den Podcasts gehen die Theologinnen Karoline Ritter und Katharina von Kellenbach den christlich-theologischen Traditionslinien hinter modernen antisemitischen Stereotypen nach. Und sie fragen nach den Hintergründen aktueller Erscheinungsformen des Antisemitismus.