Frankfurt a.M. (epd). Ein zweiter Prozess um eine geplante Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat am Freitag in Frankfurt am Main mit einer umfassenden Aussage des Angeklagten begonnen. Mit Schulden und Drogenkonsum versuchte der Tatverdächtige Wilhelm P. vor dem Frankfurter Oberlandesgericht zu erklären, wie er in Telegram-Kanälen an die sogenannte „Kaiserreichsgruppe“ geriet und sich ihr anschloss. Heute wisse er, dass er einen Fehler, eine „große Dummheit“ gemacht habe, sagte der 62-Jährige. Das Gericht wertete seine Aussage als Geständnis.
Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem Mann die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie die Beteiligung an einem mehrstufigen Plan zum Umsturz des freiheitlich-demokratischen Systems Deutschlands vor. Bereits seit Mai 2023 müssen sich fünf mutmaßliche Rädelsführer und Mitglieder der Vereinigung in Koblenz vor Gericht verantworten.
In einer ersten Phase sollte laut Anklage die Stromversorgung durch Sprengstoffanschläge längerfristig außer Kraft gesetzt werden, damit Sicherheitskräfte, Regierung und Medien nicht arbeiten können. In Phase zwei sollte Gesundheitsminister Lauterbach entführt und in Phase drei die Bundesregierung gestürzt werden. Im Anschluss sei die Errichtung eines autoritär geprägten Regierungssystems nach dem Vorbild der Verfassung des Deutschen Kaiserreiches von 1871 geplant gewesen. Tote habe die Vereinigung in Kauf genommen.
Wilhelm P. aus dem südhessischen Gorxheimertal im Landkreis Bergstraße soll sich der Vereinigung im Dezember 2021 angeschlossen haben. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm vor, der Vereinigung seine Mithilfe für die Lauterbach-Entführung und seine Garage für die Aufbewahrung von Waffen angeboten zu haben.
Vor Gericht zeichnete P., gekleidet in ein weißes Hemd und eine graue Hose, das Bild einer schweren Kindheit. Bei der Scheidung der Eltern sei er dem Vater zugesprochen worden, während die Geschwister bei der Mutter blieben. Sein „Erzeuger“, wie er ihn konsequent nannte, habe ihn regelmäßig und grundlos körperlich schwer misshandelt.
Nach der Grundschule in Weinheim, dem Hauptschulabschluss und einer Ausbildung zum Kfz-Mechaniker hatte er verschiedene Jobs: unter anderem im Lager, als Tankwart und Lkw-Fahrer. Seit 2018 verlegte er Kabel für die Installation von Photovoltaikanlagen. Außenstände einiger Auftraggeber - in einem Fall sei es um 25.000 Euro gegangen -, habe er versucht zu kompensieren. Er habe immer mehr gearbeitet, auch nach einem Herzinfarkt. Mit den Corona-Maßnahmen sei das nicht mehr möglich gewesen. „Ich konnte keine Maske tragen.“ Er bekomme sonst Atemnot, die Ursache dafür liege bei einem Motorradunfall 1997.
Nachdem die Aufträge weniger und die finanziellen Probleme größer wurden, sei er immer länger auf der Plattform Telegram unterwegs gewesen, sagte der Angeklagte. Zudem habe er täglich Marihuana konsumiert, das sei früher nur selten vorgekommen.
Wilhelm P. sagte, er sei ein „hilfsbereiter Mensch“, der oft ausgenutzt worden sei. Gewalt sei für ihn „kein Mittel, um Lösungen zu finden“, auch wenn das angesichts der Umstände merkwürdig klinge. Seine Frau, seine Tochter und die beiden Enkelkinder „sind mein größtes Glück. Ich war so blöd, das aufs Spiel zu setzen.“ Als er einen Besuch einer Enkeltochter schilderte, brach ihm die Stimme weg.
Aufgrund des weitgehenden Geständnisses des Angeklagten strebe die Verteidigung eine Verständigung um die Strafhöhe an, sagte Richter Jürgen Bonk. Die Generalstaatsanwaltschaft habe eine formelle Verständigung abgelehnt, allerdings sei man sich einig, dass eine Verurteilung in einem Strafrahmen zwischen zweidreiviertel und dreieinhalb Haft möglich sei.
P. sitzt seit Oktober 2023 in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen ihn soll am Montag fortgesetzt werden, elf Prozesstage sind bis November angesetzt.