BKK-Chefin Klemm: Politik muss sich um pflegende Angehörige kümmern

BKK-Chefin Klemm: Politik muss sich um pflegende Angehörige kümmern
Vier Fünftel aller Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt. Die Chefin der Betriebskrankenkassen fordert von der Bundesregierung: Die nächste Pflegereform muss die Situation der pflegenden Angehörigen verbessern.

Berlin (epd). Ein Pflegelohn für Angehörige, eine Vereinfachung der Leistungen, ein Rechtsanspruch auf einen Tagespflegeplatz: Das sind einige der Forderungen, die der Dachverband der Betriebskrankenkassen am Mittwoch in Berlin an die Bundesregierung richtete. BKK-Dachverbands-Vorständin Anne-Kathrin Klemm verlangte eine Richtungsänderung in der Pflegepolitik: Bei allen künftigen Reformen müsse die ambulante Pflege im Mittelpunkt stehen, sagte sie. Konkret will der BKK-Dachverband, dass sechsmal so viel Geld in die ambulante Pflege fließt wie in die stationäre Versorgung.

Berechnungen des Verbands zufolge werden von den insgesamt rund 5,2 Millionen Pflegebedürftigen knapp 84 Prozent zu Hause von ihren Angehörigen und von Pflegediensten versorgt - in Pflegeheimen hingegen nur 13,4 Prozent. Weitere 2,7 Prozent der Pflegebedürftigen leben in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Damit werden sechsmal so viele alte Menschen ambulant gepflegt wie stationär. Doch erhalten sie laut BKK-Dachverband insgesamt nur 1,3-mal so hohe Leistungen aus der Pflegeversicherung wie die stationär Betreuten.

Der BKK-Dachverband legte ein Papier vor, das die Versäumnisse der Politik aufzählt: Es fehlen Tagespflege- und Kurzzeitpflegeplätze. Nur für 2,3 Prozent der zu Hause Gepflegten gibt es überhaupt einen Tagespflegeplatz. Mehr als zwei Drittel der Familien setzen das Pflegegeld, das eigentlich den Angehörigen zusteht, offenbar für die steigenden Ausgaben ein.

Klemm warnte vor den Folgen: „Wenn wir die ambulante Versorgung nicht mehr hätten, hätten wir einen Kollaps in der stationären Versorgung“, sagte sie. Die BKK-Chefin betonte, es gehe nicht darum, die ambulante und die stationäre Pflege gegeneinander auszuspielen. Es könne aber nicht sein, dass überwiegend weibliche Familienangehörige die pflegerische Versorgung in Deutschland sicherstellen, bei Reformen aber leer ausgingen und mit Benachteiligungen im Berufsleben und bei der Rente konfrontiert seien.

Studien zufolge droht einem Viertel der pflegenden Frauen die Verarmung, weil sie ihre Berufstätigkeit reduzieren oder aufgeben müssen und im Alter nur geringe Renten zu erwarten haben. Zum Vergleich: Die Armutsgefährdungsquote in der Gesamtbevölkerung liegt bei knapp 17 Prozent.

In der Pflegepolitik der Ampel-Koalition spielt die ambulante Pflege bisher eine untergeordnete Rolle. Verbesserungen hat es zuletzt vor allem für professionell Pflegende gegeben. Kümmern wollen sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch um die ausufernden Eigenanteile für Heimbewohnerinnen und -bewohner, die immer mehr Pflegebedürftige in die Sozialhilfe drängen.

Scholz hatte zuletzt bei einem Bürgergespräch in Bremen bekräftigt, dass seine Regierung noch eine Reform der Pflegeversicherung angehen wolle und dabei auch das Problem der Eigenanteile genannt. Er strebe dafür eine möglichst breite parteipolitische Unterstützung an, hatte Scholz erklärt, zugleich aber von einem schwierigen Vorhaben gesprochen. Dem Kanzler zufolge soll Lauterbach im Herbst Vorschläge vorlegen. Sein Ministerium wollte dazu auf Anfrage keine näheren Angaben machen. Lauterbach selbst hatte, anders als Scholz, mehrfach erklärt, dass eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sei.