Freistatt, München (epd). Der Alt-68er Rainer Langhans sieht Obdachlosigkeit unter bestimmten Umständen nicht nur als Folge einer Not, sondern auch als „Protest gegen die Gesellschaft“. Womöglich spürten viele Wohnungslose „eine Lieblosigkeit“ in der Gesellschaft und seien unbewusst oder aus aktiver Entscheidung nicht gewillt, sich in die bestehenden Verhältnisse einzuordnen, sagte der 84 Jahre alte Autor und Lebenskünstler im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Am Freitag (2. August) ist der in München lebende Langhans zu Gast im niedersächsischen Freistatt bei Diepholz auf der bundesweiten Jahrestagung der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen. Dort will er mit den Teilnehmenden über gesellschaftlichen Wertewandel diskutieren.
Er selbst habe bislang keine Obdachlosigkeit erfahren, sagte Langhans. Aber als jemand, der nie geordnet gearbeitet habe und kaum Rente beziehe, lebe er in relativer Armut. Zudem habe er über weite Strecken seines Lebens in bewusster Entscheidung außerhalb der üblichen gesellschaftlichen Normen gelebt, weil er diese als „eng und rigide“ empfunden habe.
„Deswegen haben wir um 1968 ja unser eigenes Ding gemacht“, erläuterte der Mitbegründer von Deutschlands berühmtester Wohngemeinschaft, der 1967 ins Leben gerufenen West-Berliner „Kommune 1“: „Wir haben etwas erlebt, das uns erfüllt hat, sich wie ein richtiges Leben anfühlte.“ Aus dieser Perspektive habe er nicht verstanden, „warum nicht alle so leben wollen wie wir“.
Mit Blick auf diese Erfahrungen frage er sich, ob es manchen Wohnungslosen ähnlich gehe, sagte Langhans. „Ist ihr vermeintliches Scheitern an den gängigen gesellschaftlichen Maßstäben womöglich ein unbewusster Ausdruck von Sehnsucht nach diesem richtigen Leben?“ Sollte dies tatsächlich so sein, wolle er dazu beitragen, dass diese Sehnsucht „politisch wirksam wird“.
Langhans unterstrich, dass in Deutschland angesichts umfassender staatlicher Hilfsstrukturen eigentlich niemand auf der Straße leben müsste. Umso mehr interessiere ihn, warum manche Menschen die angebotene Hilfe ablehnten und warum ihnen diese Verhältnisse „nicht genug“ seien. Er wolle auf der Tagung erörtern, „in welcher Welt wir eigentlich leben wollen“.
In der Debatte gehe es nicht nur um die alltäglichen Widrigkeiten, denen Wohnungslose ausgesetzt seien, sondern um eine grundsätzlichere Frage: „Wie müsste unsere Welt beschaffen sein, damit Obdachlosigkeit manchen Menschen nicht mehr als bessere Alternative zu einem Leben im gesellschaftlichen Mainstream erscheinen muss?“