evangelisch.de: Herr Vogt, Sie sind Schriftsteller, Künstler und Theologe und arbeiten seit 2022 im Berliner ThinkTank "midi", in dem Sie für die Evangelische Kirche in Deutschland und die Diakonie Ideen für eine zukunftsfähige Kirche entwickeln. Wie kam die Idee zustande für Herzensanliegen?
Fabian Vogt: Das Projekt knüpft an das Schwerpunkthema der vergangenen EKD-Herbstsynode an: "Sprach- und Handlungsfähigkeit im Glauben". Dabei wurde festgestellt, dass viele sich abgewöhnt haben, über ihren Glauben zu reden, was für die Kommunikation der Kirche ein großes Problem darstellt. Ich habe das übrigens am eigenen Leib erlebt.
Seit vielen Jahren bin ich Teil eines Männerkreises und habe irgendwann
mal in die Runde gesagt: ‚Wir reden jetzt seit Jahren über Glaubensthemen, aber sagt mir doch einfach mal: Was glaubt ihr eigentlich?‘ Das war überwältigend, weil diese gestandenen Männer teilweise mit Tränen in den Augen anfingen, von ihrem Leben und ihrem Glauben zu erzählen. Ein Manager sagte: ‚Wenn ich nicht glauben würde, dass Gott mich liebt, wie ich bin, hätte ich nach manchen Fehlentscheidungen im Management meinen Job nicht weitermachen können.‘ Das war für mich faszinierend und ich habe gemerkt, da ist wirklich Nachholbedarf. Also habe ich der EKD angeboten, dass wir von midi was dazu entwickeln können.
Seit Juni sind die Materialien online, wurden Sie bisher in Anspruch genommen? Wie ist die Reaktion?
Vogt: Die Materialien haben wir kurz vor den Sommerferien veröffentlicht, deshalb wurden die Module natürlich erst vereinzelt genutzt. Wir wissen aber, dass unser Film schon richtig oft heruntergeladen wurde. Nebenher bereitet die EKD einzelne Statements aus dem Film in Posts auf und dazu gab und gibt es viele Rückmeldungen. Das ist natürlich toll und motiviert uns ungemein. Wir gehen davon aus, dass die Gemeinden und einzelnen Institutionen im Herbst beginnen, dieses Projekt umzusetzen.
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Hat das Miteinander-Reden in den letzten Jahren abgenommen?
Vogt: Allgemein ist das schwer zu sagen, aber das Reden über den Glauben und über persönliche spirituelle Erfahrungen ist offensichtlich für viele zu einer Privatsache geworden.
Ich glaube, dass viele Leute momentan einfach Angst haben, über den Glauben zu reden, weil das gerade nicht angebracht zu sein scheint. Es wird eher über Missbrauch, Kirchensteuer und Austrittszahlen geredet. Das heißt: Man traut sich nicht, weil aufgrund der genannten Themen einige vielleicht komisch reagieren könnten, im Sinne von: ‚Wie kann es sein, dass du noch in der Kirche bist?‘
Aber da beißt sich, meiner Meinung nach, die Katze in den Schwanz. Wie kann eine Institution attraktiv sein, wenn ihre Mitglieder nicht den Mut haben zu sagen: ‚Mein Glaube trägt mich durchs Leben, mein Glaube macht mich stark, mein Glaube stärkt mein Selbstwertgefühl!‘
Ich bin als Referent oft unterwegs und erlebe, dass einige Gemeinde richtig mutlos sind, es fehlt an der Begeisterung. Aber wie können diese dann Menschen einladen? Christsein hat auch etwas mit Mut und Hoffnung zu tun und gerade jetzt, mit den vielen Herausforderungen, mit denen wir zu kämpfen haben, brauchen wir Mut und Hoffnung!
"Christsein hat auch etwas mit Mut und Hoffnung zu tun"
Wieso ist es dann für manche so schwer, über den Glauben zu reden? Was macht uns sprach- oder mutlos?
Vogt: Viele Menschen sind sich unsicher, ob ihr Glaube theologisch korrekt ist, ob er womöglich zu bruchstückhaft daherkommt oder kritischen Rückfragen nicht standhält.
Wie wichtig ist das Reden über seine eigenen Emotionen für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs? Welche Rolle spielt dabei dir Kirche?
Vogt: Ehrlich über meine Gefühle reden zu können, lässt mich bewusster leben. Und viele Studien zeigen ja, dass es die Gespräche mit vertrauten und vertrauenswürdigen Menschen sind, die uns helfen, wichtige Entscheidungen zu treffen und uns als Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Das Projekt knüpft, wie schon erwähnt, an das Schwerpunkthema der vergangenen EKD-Synode an. Mögen Sie ein paar Worte zum Motto "‘Ich glaube, darum rede ich‘ aus der Bibel sagen?
Vogt: In der Bibel wird immer wieder davon erzählt, dass Menschen von ihrem Glauben so begeistert sind, dass sie gar nicht anders können, als davon zu schwärmen. Diese Leidenschaft gilt es wiederzuentdecken. Und manchmal passiert das auch, wenn man sich selbst überlegt, wie man Worte für die eigenen Ideale findet.
Genau diese Leidenschaft ist es, die dann auch andere mitzieht. Das erleben wir ja nicht nur bei den Aposteln: Die können gar nicht anders, als von ihrem Glauben schwärmen, weil sie begeistert sind. Ein gutes Beispiel ist auch die Pfingstgeschichte, in der eben noch mutlose Menschen vom Geist Gottes ergriffen werden und hinauslaufen und vom Glauben erzählen. Das Schöne daran ist, dass – auch wenn man nicht dieselbe Sprache spricht – Begeisterung einfach ansteckt. Die Zuhörerinnen und Zuhörer haben die Glaubenden verstanden, weil die etwas ausgestrahlt haben, sie haben Emotionen kommuniziert.
Ich muss gar nicht immer die Schrift oder die Sprache des anderen verstehen, aber ich nehme seine Fröhlichkeit auf und merke: Diesen Menschen erfüllt etwas.
An wen richtet sich das Trainingsprogramm? Wie ist es aufgebaut und wie sind die Materialien entstanden?
Vogt: Herzensanliegen macht Lust, das Reden über den Glauben auszuprobieren. Deshalb gehören zu dem Trainingsprogramm nicht nur ganz praktische Übungen, sondern auch ein Film, ein Lied und mehrere interaktive Gottesdienst-Module. Damit kann es sowohl in der Erwachsenenbildung, im Unterricht, als auch einfach in Gesprächsgruppen eingesetzt werden.
Entstanden sind die Materialien teilweise durch eigene Erfahrungen. Ich habe viele Jahre als Gemeindepfarrer gearbeitet und nach jedem Gottesdienst war klar, dass es etwas zu essen und zu trinken gab. So hat man sich kennengelernt und geredet. Oft habe ich dann den Leuten eine spielerische Aufgabe mitgegeben: ‚Sprechen Sie doch mal nach dem Gottesdienst jemanden an, den sie noch nicht kennen.‘ Oder erzählen sie einander: ‚Was ist mir heilig?‘
Solche Fragen habe ich mit in die Materialien eingebaut, da es sogenannte Eisbrecher sind. Denn jeder hat etwas, was ihm oder ihr heilig ist. Oder ich habe gefragt: ‚Was macht dir Angst und wie vertreibst du diese?‘ Und auf einmal kommt man mit den Menschen ins Gespräch. Auch über Glauben.
"Jeder hat etwas, was ihm oder ihr heilig ist"
Und im Gespräch wiederum lernt man die Anderen kennen, ihre Meinung, ihre Ängste, ihre Vorlieben. Nur dann können wir uns verstehen und voneinander lernen?
Vogt: Richtig, und genau das geht immer mehr verloren, da wir die verschiedenen Meinungen gar nicht mehr aushalten können und lieber die anderen ablehnen. Genau das darf aber nicht passieren, denn dann bewegen wir uns immer mehr voneinander weg. Für mich ist es auch eine Aufgabe der Kirche, die Menschen mit ihren unterschiedlichen Meinungen zu verbinden, zu vermitteln.