Lieber kein Baby bekommen in unsicheren Zeiten

Lieber kein Baby bekommen in unsicheren Zeiten
Absolute Zahl der Geburten und Rate je Frau 2023 gesunken
Die Zahl der Geburten in Deutschland ist 2023 eingebrochen: Sie sank um sechs Prozent oder fast 46.000 auf unter 700.000. Ein Forscher warnt: Die fehlenden Babys heute fehlen in 20 bis 30 Jahren als Eltern und Fachkräfte.

Wiesbaden (epd). Die Zahl der Geburten in Deutschland hat sich 2023 negativ entwickelt und liegt jetzt wieder unter der Marke von 700.000. Wie am Mittwoch in Wiesbaden veröffentlichte Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, kamen im Jahr 2023 exakt 692.989 Kinder zur Welt. Das waren 45.830 oder sechs Prozent Neugeborene weniger als 2022 (738.819).

Weniger Kinder als im Jahr 2023 wurden in Deutschland zuletzt 2013 geboren (682.069). Der Wert nähert sich auch der niedrigsten Geburtenzahl überhaupt seit 1946 an: Im Jahr 2011 kamen rund 663.000 Neugeborene zur Welt. Die vorläufigen Geburtenzahlen für die ersten vier Monate des laufenden Jahres zeigten einen weiteren, jedoch abgeschwächten Geburtenrückgang um 3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Ebenso sank die auch als Geburtenrate bezeichnete zusammengefasste Geburtenziffer im vergangenen Jahr um sieben Prozent auf 1,35 Kinder je Frau. Im Jahr 2022 hatte der Wert noch bei 1,46 Kinder je Frau gelegen, 2021 sogar bei 1,58.

Forscher Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) erläuterte auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd): „Eine Zunahme der Geburtenrate um 0,2 hatte Deutschland in den 2010er Jahren durch die Familienpolitik, das klingt wenig, aber das macht einen Unterschied von etwa 100.000 Geburten pro Jahr mehr oder weniger aus.“ 100.000 Babys pro Jahr seien „extrem viel, denn in 20 Jahren kommen die auf den Arbeitsmarkt oder eben nicht“. Sie fehlten auch in den Sozialversicherungen, bei den Steuereinnahmen und als Mütter und Väter in 20 oder 30 Jahren. „Deswegen ist es wichtig, dass die Geburtenrate wieder ansteigt“, plädierte der Familiensoziologe.

Den Rückgang in den zurückliegenden zwei Jahren erklärte der Experte „mit den multiplen Krisen“: Während der Pandemie hätten Frauen ihren Kinderwunsch aufgeschoben, als die ersten Impfstoffe auf den Markt gekommen seien. Nach der Pandemie habe es keine Erholung gegeben, weil die Leute „erschöpft waren und auch verunsichert“. Der Ukraine-Krieg mache vielen Menschen Sorgen und habe für ökonomische Sorgen mit hohen Energiepreisen und Inflation gesorgt. „Krisen führen zu Unsicherheiten und Unsicherheiten sind Gift für die Familienplanung.“ Der erstarkte Rechtspopulismus sowie Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft könnten ebenfalls zu Unsicherheit führen.

Die Geburtenziffer sank laut der Statistik 2023 sowohl bei Frauen mit deutscher wie auch mit ausländischer Staatsangehörigkeit um sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr, allerdings ausgehend von unterschiedlichen Niveaus: So ging die Geburtenziffer bei deutschen Frauen von 1,36 auf 1,26 und bei Ausländerinnen von 1,88 auf 1,74 Kinder je Frau zurück.

Die zusammengefasste Geburtenziffer war 2023 in allen Bundesländern rückläufig. Besonders stark nahm sie in den nördlichen und östlichen Bundesländern, darunter in Sachsen (minus zehn Prozent) und in Mecklenburg-Vorpommern (minus neun Prozent). Im Saarland war der Rückgang mit minus ein Prozent am schwächsten. Die höchste Geburtenziffer mit 1,46 Kindern je Frau verzeichnete Bremen.

Mütter waren den Angaben zufolge im Jahr 2023 bei einer Geburt - unabhängig davon, ob es die Geburt des ersten Kindes oder eines weiteren Kindes war - im Durchschnitt 31,7 Jahre und Väter 34,7 Jahre alt. Damit nahm das Alter der Mütter bei Geburt im Vergleich zu 2021 (31,8 Jahre) leicht ab, während das Alter der Väter konstant blieb.