24/7-Shop: Konsumhymne versus Werterequiem

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Smart Stores in Hessen und MV
24/7-Shop: Konsumhymne versus Werterequiem
In Hessen dürfen Smart Stores sonntags wieder öffnen – Diese Nachricht ging am 10. Juli durch die Presse. Vollautomatisierte Geschäfte ohne Personal dürfen nun 24/7 öffnen, dem Konsum steht an sieben Tagen die Woche und 24 Stunden am Tag nichts mehr im Wege. Doch hat das wirklich nur Vorteile? Ein Kommentar von evangelisch.de-Redakteurin Alexandra Barone.

Am 10. Juli hatte der Hessische Landtag entschieden, dass vollautomatisierte Verkaufsstellen mit einer Fläche von bis zu 120 Quadratmetern für Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs auch an Sonn- und Feiertagen öffnen dürfen. Ein Festtag vor allem für die Supermarktkette Tegut, die nach dem Entscheid des Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel ihre 25 "teos" Anfang Januar 2024 an Sonn- und Feiertagen schließen mussten. Lediglich drei "teos" in Bahnhofsnähe durften sonntags weiterhin öffnen. Alles bestens, denke ich sofort. Ich kann an 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche spontan entscheiden, wann ich einkaufen gehe. Ich muss meinen Einkauf nicht mehr planen. "Hurra!", denke ich und gehe zufrieden ins Bett.

Am nächsten Tag frage ich mich aber, was sind eigentlich "vollautomatisierte" Verkaufsstellen, kommen die tatsächlich ohne Personal aus? Was erwartet mich in Smart Stores? Sind sie wirklich für ländliche Regionen wichtig? Nach einer längeren Recherche -  nachdem ich mich durch Medienartikel klicke, die enthusiastisch verkünden, dass eine Revolution im Einzelhandel stattfinden wird - werde ich fündig: Unter smartstore.com wird erklärt, dass die genaue Überwachung und Verwaltung von Warenbeständen in Verkaufsautomaten durch den Einsatz innovativer IoT- und Telemetrielösungen ermöglicht wird. Diese Technologien fungieren als zentrales Managementsystem und schaffen eine Verbindung zwischen Automaten, Kühlschränken und Betreibern. 

Ist vollautomatisiert wirklich personallos?

Smart IoT spielt bei den Smart Store-Technologien scheinbar eine besondere Rolle. Es ist eine Software, ein System, dass alle "Rollen" im Geschäft übernimmt: Vom Azubi, über die Fleischfachfrau und den Kassierer. Es gibt scheinbar wirklich kein Verkaufspersonal, dass die Regale auffüllt. Aber was ist mit der Warenlieferung, der Reinigung und der Überwachung? Sind das Menschen oder wird das von der KI übernommen? Wer kontrolliert das System? Ein anderes System, das wiederum von einem weiteren System überwacht wird? Nun, dagegen könnte man argumentieren, dass ja bereits verschiedene Berufsgruppen wie Ärztinnen, Feuerwehrleute und Polizisten sonntags arbeiten. Aber immerhin tragen sie zur Lösung öffentlicher Notlagen bei. Ist es eine Notlage, kein Brot mehr zu Hause zu haben?

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Der Software ausgeliefert

Zudem kommt man nur mit einer App in den Smart Store und scheinbar erst wieder hinaus, sobald man an der digitalen Kasse alle Artikel eingescannt hat und kontaktlos mit Karte bezahlt hat. Sofort wurde ich von Klaustrophobie-Gefühlen überrannt. Was passiert, wenn ich nichts finde und ohne Ware wieder hinaus möchte? Was passiert, wenn das System einen Kurzschluss hat? Den Einwand "Das passiert nicht!" lass ich nicht gelten, da ich bereits stundenlang in Aufzügen festsaß. Ich gebe auch zu bedenken, dass das "kontaktlos bezahlen" mit EC- oder Kreditkarte wegen technischer Defekte nicht immer funktioniert.

Der Supermarkt als Begegnungsort

Dann habe ich an meine Mitmenschen gedacht, an meine ältere Nachbarin beispielsweise. Hat sie überhaupt ein Handy, auf das sie die App herunterladen kann? Weiß sie, wie man eine Ware einscannt? Hat sie überhaupt eine Kreditkarte? Das Gegenargument lautet: Sie kann ja an den anderen Tagen einkaufen gehen. Und wenn es nur noch personallose Supermärkte gibt in der Zukunft? Immerhin sehen viele Medien diesen Zukunftstrend und ich frage mich, ob wir das soziale Miteinander tatsächlich abschaffen wollen? Das Gegenargument: Wir können uns ja mit unseren Freunden treffen und reden. Und was ist, wenn meine ältere Nachbarin keine Freunde hat und für sie der Supermarkt ein Begegnungsort ist? Wollen wir wirklich nicht mehr miteinander reden, sondern nur noch anonym einkaufen?

Ist der Einkauf im Smart Store anonym?

Womit ich bei meinem letzten Punkt angelangt bin: Die Anonymität! Bei einem voll digitalisierten Shop würde ich im besten Falle keinem Menschen begegnen. Ich könnte als Erwachsene flaschenweise Alkohol kaufen und Zigaretten und Chips, ohne dass mich die Kassiererin fragt, was ich denn vorhätte. Doch wenn ich nur mittels einer App, die ich auf meinem Handy installiere, ins Geschäft komme, mich auf dieser App mit meinen Daten registrieren muss, diese App meine gekauften Waren speichert, damit sie mir in Zukunft ein besseres Kundenerlebnis bescheren kann und mir Waren individuell vorschlagen kann – ist denn dann wirklich meine Anonymität bewahrt?

Mein Fazit

Der Sonntag war für mich immer etwas Besonderes, aber durch die Lockerung der Ladenöffnungszeiten wird er zu einem gewöhnlichen Werktag. Als Kind bin ich auf dem Dorf aufgewachsen, laut den Medien "Infratsruktur-mäßig benachteiligt. Dennoch haben wir es überlebt, dass man am Wochenende nicht einkaufen gehen konnte. Am Sonntag hat man den Gottesdienst besucht, mit der Familie gemeinsam gegessen. Der Ausflug mit den Eltern stand im Vordergrund, nicht das Shopping im Einkaufscenter. Aber die Zeiten ändern sich, heisst es, und ich werde meine Kartoffeln trotzdem nicht am Sonntag kaufen.