Frankfurt a.M., Bonn (epd). Von einer Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Afghanistan würden laut dem Konfliktforscher Conrad Schetter in erster Linie die Taliban profitieren. „Das ist in ihrem Sinne, weil es den Taliban um internationale Anerkennung geht“, sagte der Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Deutschland wird seit Wochen über die Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern nach Afghanistan diskutiert. Von Unionspolitikern waren dabei auch Gespräche mit den in Afghanistan herrschenden islamistischen Taliban ins Gespräch gebracht worden.
Bei einer Zusammenarbeit bei Rückführungen „würden die Taliban versuchen, diese durch eine Anerkennung bezahlen zu lassen“, sagte Schetter. Wenn Deutschland dazu zunächst nicht bereit sei, würden die Taliban als Gegenleistung mindestens auf die Zahlung von Geldern bestehen. Das sei aber nicht ihr Hauptinteresse. Die Bundesregierung würde sich mit einer Vereinbarung in jedem Fall von den Taliban abhängig machen, weil sie damit drohen könnten, keine Afghanen mehr aufzunehmen. „In der Logik sitzt man am kürzeren Hebel.“
Der unter anderem auf Afghanistan spezialisierte Konfliktforscher kritisierte auch Überlegungen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Abschiebungen von Afghanen über andere Staaten zu organisieren. Bei einer Kooperation mit dem an Afghanistan angrenzenden Usbekistan etwa würde die Bundesregierung mit einem autoritären Regime zusammenarbeiten, in dem es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt.
Auslöser der Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan war der Angriff eines mutmaßlichen islamistischen afghanischen Gewalttäters auf einen Stand der islamkritischen Bewegung „Pax Europa“ Ende Mai in Mannheim, bei dem ein Polizist ums Leben kam. Neben Innenministerin Faeser hatte sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für Abschiebungen von Straftätern und islamistischen Gefährdern nach Afghanistan ausgesprochen. Wegen der Sicherheitslage ist dies umstritten. Seit 2021 gilt ein bundesweiter Abschiebestopp.
Schetter kritisierte die Debatte als „populistisch“. Derzeit werde in der öffentlichen Diskussion ein Bild erzeugt, „als würden kriminelle Afghanen die gesamte Fluchtbewegung dominieren“. „Ich sehe die Gefahr, dass Afghaninnen und Afghanen per se stigmatisiert werden.“ Abschiebungen würden zudem „immense Kosten“ verursachen. Es rücke außerdem in den Hintergrund, dass die Bundesregierung ihr Versprechen, mit der Rückkehr der Taliban afghanische Ortskräfte nach Deutschland zu holen, nicht eingehalten habe.
Die Taliban hatten im August 2021 nach dem Abzug der internationalen Truppen wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Schetter zufolge hat sich die allgemeine Sicherheitslage seit dem Ende des Krieges zwar verbessert. Die Taliban gingen aber willkürlich gegen viele Menschen vor. „Mit Blick auf die Menschenrechte sind Abschiebungen nach Afghanistan nicht zu rechtfertigen“, sagte er. Die Islamisten haben die Rechte von Frauen und Mädchen stark eingeschränkt. Auch kritische Journalisten und Aktivisten geraten immer wieder ins Visier der Taliban.