Berlin (epd). Vor dem Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder haben mehr als 300 Sozial- und Menschenrechtsorganisationen appelliert, die Pläne zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten nicht weiter zu verfolgen. Diese Pläne funktionierten in der Praxis nicht, seien „extrem teuer“ und stellten „eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar“, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Schreiben. Auch der für das Spitzentreffen erstellte Prüfbericht des Bundesinnenministeriums zählt vor allem Bedenken gegen die Umsetzung solcher Pläne auf. Eindeutig positioniert hat sich die Bundesregierung bislang aber nicht.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den Bundesländern im vergangenen Jahr zugesichert zu prüfen, ob die Prüfung von Asylverfahren auch in Drittstaaten möglich ist. Das Bundesinnenministerium hatte in der Folge 24 deutsche Sachverständige sowie Experten aus anderen Ländern angehört. Am Donnerstag beraten die Regierungschefinnen und -chefs der Länder mit Scholz über das inzwischen vorliegende Zwischenergebnis.
Der 17-seitige Bericht, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt, formuliert Skepsis. Die Anhörung Sachverständiger habe erkennen lassen, dass internationales und EU-Recht eine Feststellung des Schutzstatus Geflüchteter in Dritt- und Transitstaaten „zwar nicht grundsätzlich ausschließt“, heißt es darin. Viele Sachverständige hätten sich aber „skeptisch bis kritisch“ zu den tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten geäußert.
Deutlich formuliert der Bericht etwa, dass das Bundesinnenministerium es nicht für denkbar hält, Modelle anzuwenden, wie sie zwischen Großbritannien und Ruanda sowie Italien und Albanien vereinbart worden sind. Unter den gegebenen rechtlichen und praktischen Rahmenbedingungen seien sie in dieser Form nicht auf Deutschland übertragbar. Der Bericht verweist im Fall von Ruanda beispielsweise auf Hürden durch EU-Recht, das für Großbritannien nach dem Austritt aus der Europäischen Union nicht mehr gilt.
Wegen der geografischen Lage Deutschlands schließt der Bericht zudem aus, das Italien-Albanien-Modell zu kopieren. Anders als aus Seenot gerettete Schutzsuchende, die Italien nach Albanien bringen will, haben in Deutschland ankommende Flüchtlinge auch deutsches Hoheitsgebiet betreten, womit andere rechtliche Voraussetzungen gelten. Zudem formuliert der Bericht weitere Bedenken, etwa zu den erwartet hohen Kosten, die man tragen müsste, damit Länder bereit sind, die Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Fälle zu bearbeiten, oder sogar deutsche Asylverfahren ins Ausland zu verlagern.
Ein eindeutiges Nein zur Verlagerung von Asylverfahren gibt es von der Bundesregierung aber bislang nicht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wolle das Thema zunächst mit den Ministerpräsidenten besprechen, sagte ein Sprecher am Mittwoch in Berlin. Gleichzeitig sagte er, dass für Faeser derzeit die Umsetzung der EU-Asylrefom Priorität habe.
Die 309 Organisationen und Initiativen, darunter der Paritätische Gesamtverband, die Diakonie Deutschland, Sea-Watch und Terre des Hommes sind überzeugt, dass die Auslagerung von Asylverfahren „absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen“ würde. Solche Pläne seien „unsolidarisch und menschenrechtlich bedenklich“, erklärte „Brot für die Welt“-Präsidentin Dagmar Pruin, deren Werk den Brief mit unterzeichnet hat. Zudem seien sie realitätsfremd, weil sich kein Land finden werde, das zur Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen aus Europa bereit ist.
Skepsis kam auch vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), dessen Vertreterin in Deutschland unter den Sachverständigen für die Anhörung im Innenministerium war. Rückführungen oder Überstellungen in sogenannte sichere Drittstaaten seien nur dann angemessen, wenn wichtige Standards erfüllt sind, erklärte das Berliner Büro auf Anfrage. Dazu gehöre, dass diese Länder die Genfer Flüchtlingskonvention und die menschenrechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang respektieren.