Zahl der antiziganistischen Vorfälle hat sich verdoppelt

Zahl der antiziganistischen Vorfälle hat sich verdoppelt
Paus: Trauriger Alltag für Sinti und Roma
Seit zwei Jahren werden antiziganistische Vorfälle in Deutschland registriert - sofern sie von den Betroffenen gemeldet werden. Die Zahlen steigen schnell, doch sagt das noch wenig aus über das ganze Ausmaß der Diskriminierung von Sinti und Roma.

Berlin (epd). Beleidigungen, Drohungen, Vorurteile bei Behörden und überzogene Polizeieinsätze sind Formen des Antiziganismus in Deutschland. Im vergangenen Jahr haben sich die registrierten Fälle verdoppelt, wie aus dem Jahresbericht 2023 hervorgeht, der am Montag in Berlin veröffentlicht wurde. Er listet 1.233 Vorfälle auf, die sich gegen Roma und Sinti richteten, ein Viertel davon in Institutionen. Im Jahr 2022 hatte die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) 621 Fälle registriert. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte, Antiziganismus sei trauriger Alltag für Sinti und Roma und verlangte von Gesellschaft und Behörden, sich gegen diese Diskriminierung genauso zu stellen wie gegen Antisemitismus und Rassismus.

Der Antiziganismus-Beauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, wies besonders auf Fehlverhalten bei der Polizei hin, ein Schwerpunkt des zweiten MIA-Jahresberichtes. Bei drei von zehn dokumentierten Vorfällen extremer Gewalt handele es sich um Polizeieinsätze, sagte er. In einem Fall wurde in einem westdeutschen Flüchtlingsheim ein Polizeihund auf einen bereits in Handschellen am Boden liegenden Mann losgelassen. Der Hund biss mehrfach zu, der Mann leidet bis heute an den Verletzungen.

Beamte und Beamtinnen seien an 80 weiteren der gemeldeten Fälle beteiligt gewesen, sagte Daimagüler. Er erfahre darüber hinaus häufig von polizeilichem Fehlverhalten, das die Betroffenen nicht meldeten, weil sie kein Vertrauen in die Behörden hätten. Dem Bericht zufolge glauben viele Polizistinnen und Polizisten weiterhin, dass Roma und Sinti generell zur Kriminalität neigten und begegneten selbst Opfern von Gewalt oder Diskriminierung mit einer allgemeinen Verdachtshaltung. So wurde ein Vater, der rechtsradikale Sprüche in der Schule seines Sohnes anzeigen wollte, auf der Polizeidienststelle abgewiesen, mit den Worten: Soll ich mal nachschauen, was du alles auf dem Kerbholz hast?

Die Meldestelle MIA, die von der Bundesregierung gefördert wird, ordnet die Vorfälle unterschiedlichen Kategorien zu. In den meisten Fällen wird verächtlich und voller Vorurteile über Sinti und Roma geredet (verbale Stereotypisierung). Diskriminierungen folgen an zweiter Stelle (502 Fälle). So wurde etwa ein junger Rom erst zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, nachdem er „Romanes“ als Sprachkenntnis aus seinem Lebenslauf gestrichen hatte.

Dem MIA-Jahresbericht zufolge liegen tätliche Angriffe, Bedrohungen und Sachbeschädigungen zahlenmäßig im zweistelligen Bereich. In 89 Fällen gab es einen Zusammenhang mit der NS-Ideologie. n der NS-Zeit wurden eine halbe Million Roma und Sinti ermordet. Die Diskriminierung hörte nach dem Krieg nicht auf.

Die Meldestelle MIA führt die steigenden Zahlen in erster Linie auf den Aufbau des Meldesystems mit Anlaufstellen in inzwischen sechs Bundesländern zurück. Es werde gleichwohl nur ein Bruchteil der tatsächlichen Fälle erfasst, erklärte der MIA-Vorstandesvorsitzende Silas Kropf. Er drang darauf, dass die von der Bundesregierung geförderte, aber nur bis Ende des Jahres finanziell gesicherte Arbeit der MIA fortgeführt wird, um ein realistisches Bild vom Ausmaß des Antiziganismus zu erhalten.

Daimagüler und der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, machten auch den Rechtsruck, das Schweigen der Politik zu den Übergriffen und den überkommenen Antiziganismus in den Behörden verantwortlich. Sie forderten, Antiziganismus müsse genauso bekämpft werden wie Antisemitismus.