Frankfurt a.M. (epd). Ein Jahr nach dem Untergang eines Flüchtlingsbootes vor Griechenland mit über 600 Toten haben Menschenrechtsorganisationen eine schnelle und gründliche Untersuchung der Umstände gefordert. Zwar sei die Prüfung einer möglichen Verantwortung der griechischen Küstenwache für das Unglück eingeleitet worden, erklärten Amnesty International und Human Rights Watch am Donnerstag. Die stehe aber immer noch ganz am Anfang. Das sei unfassbar, ein Jahr nach dieser schrecklichen Tragödie, kritisierte die Europa-Direktorin von Human Rights Watch, Judith Sunderland.
Das überladene doppelstöckige Fischerboot „Adriana“ war am 14. Juni 2023 vor der Hafenstadt Pylos gekentert. Von den rund 750 Geflüchteten aus Syrien, Pakistan und Ägypten überlebten lediglich 104. Geborgen wurden 82 Leichen, von allen anderen fehlt jede Spur. Mehrere der Geretteten sagten den Menschenrechtsorganisationen zufolge, die griechische Küstenwache habe versucht, das Boot abzuschleppen und damit den Untergang ausgelöst.
Seitdem ist mehrfach eine Untersuchung gefordert worden, auch durch den Europarat. Nichtstaatliche Organisationen haben Amnesty International und Human Rights Watch zufolge im Namen von 53 Angehörigen vor dem Gericht der griechischen Marine gegen die Küstenwache geklagt. Die Untersuchungen des Gerichts kämen jedoch nicht über ein Anfangsstadium hinaus. Zugleich wiesen die Behörden eine Schuld der Küstenwache zurück. Immerhin habe ein Gericht in Kalamata die Anschuldigungen gegen neun Überlebende wegen Schleusertum und Verursachung des Schiffbruchs im Mai abgewiesen. Die Angeklagten hätten elf Monate im Gefängnis verbringen müssen.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Langem eine weitverbreitete Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen an den griechischen Grenzen, entweder durch die lokalen Behörden oder die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Im Fall der „Adriana“ werfen sie der Küstenwache vor, zu spät und zu zögerliche Rettungsmaßnahmen eingeleitet zu haben, obwohl sie von der Notlage an Bord gewusst habe.