Hamburg (epd). Der Soziologe Steffen Mau geht davon aus, dass es zwischen Ost- und Westdeutschland auch künftig große Unterschiede geben werde. Nach der Einheit habe es die Vorstellung gegeben, der Osten gleiche sich dem Westen schrittweise an, sagte Mau der in Hamburg erscheinenden Wochenzeitung „Die Zeit“: „Wenn ich heute Bilanz ziehe, stelle ich fest: Die Angleichungsdynamik ist zum Erliegen gekommen.“
Unterschiede in Vermögen und Einkommen würden wahrscheinlich bestehen bleiben, sagte Mau. Außerdem werde die Bevölkerung im Osten weiter schrumpfen: „Anfang der Neunziger hatten wir einen Geburteneinbruch um 55 Prozent.“ Diese Kinder, die nicht geboren wurden, wären nun in dem Alter, in dem sie selbst Kinder bekommen hätten. Aber es gebe sie eben nicht, somit seien Schrumpfungseffekte langfristig. Hinzu komme als weiterer Unterschied ein „ein Eigensinn der Kultur und der Mentalitäten“.
In Ost und West könnten sich völlig unterschiedliche Parteiensysteme herausbilden, sagte Mau. Die AfD sei im Osten stärker und extremer. Das Bündnis Sahra Wagenknecht könne eine reine Ostpartei werden. In Ostdeutschland gebe es in Teilen eine andere Idee von demokratischer Mitwirkung. Man denke plebiszitärer und in Begriffen eines genuinen Volkswillens.
Mau schlug die Einführung von Bürgerräten vor. Dort sollten ausgeloste Bürgerinnen und Bürger der Politik Handlungsempfehlungen geben. „Bürgerräte haben mehrere Vorteile“, sagte Mau. Sie seien „immun gegenüber dem Vorwurf, dass Politik eine reine Elitenveranstaltung sei“. Es kämen durch sie vielfältigere Positionen zusammen, die Repräsentanz sei höher. Und sie seien politische Talentschmieden.
Auch mit Bürgerräten werde es immer noch Wut und Frust geben, prognostizierte Mau, und immer noch eine starke rechtsextreme Partei. „Aber wir müssen doch nachdenken, wie man demokratische Beteiligung weiterentwickeln kann“, sagte er.