Berlin (epd). Das Auswärtige Amt bleibt in der Diskussion um Abschiebungen nach Afghanistan bei seiner skeptischen Haltung. Erste Statements der Taliban zeigten, dass sie sich etwaige Rückführungen „mindestens durch internationale Anerkennung bezahlen lassen wollen“, sagte ein Sprecher von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Freitag in Berlin. Die Taliban nutzten „jeden Anknüpfungspunkt, um sich international aufwerten zu lassen“, ergänzte er. Die Bundesregierung erkenne die De-facto-Regierung Afghanistans aber wie jedes andere Land der Welt nicht an.
Die Taliban hatten sich zuvor offen für die Abschiebung afghanischer Straftäter aus Deutschland geäußert. Das afghanische Außenministerium verfolge die Diskussion in Deutschland aufmerksam, schrieb Sprecher Abdul Qahar Balkhi auf der Plattform X (vormals Twitter). Zugleich forderte er die deutschen Behörden zur konsularischen Zusammenarbeit auf, er hoffe auf eine gemeinsame diplomatische Lösung.
Der Außenamtssprecher betonte, für die Normalisierung der Beziehungen gebe es international sehr klare Regelungen. Dabei gehe es um die Umsetzung internationaler Verpflichtungen Afghanistans etwa im Bereich der Menschenrechte, insbesondere der Rechte von Frauen und Mädchen. Sie würden als Grundvoraussetzung für Schritte im internationalen Kontext gesehen, sagte er.
Für die Taliban wäre es die erste direkte Zusammenarbeit mit einer europäischen Regierung: Seit ihrer Machtübernahme im Sommer 2021 fordern sie die internationale Anerkennung ihrer Regierung und die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen. Deutschland hat diese ebenfalls im Sommer 2021 ausgesetzt. Die deutsche Botschaft in Kabul ist derzeit nicht besetzt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will schwere Straftäter und islamistische Gefährder wieder nach Afghanistan und Syrien abschieben, was wegen der dortigen Sicherheitslage bislang ausgesetzt ist. Rückendeckung bekommt sie dafür von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Außenministerin Baerbock und die Grünen insgesamt sind aber skeptisch und führen dabei rechtliche, aber auch praktische Bedenken an.
Am Freitag kündigte Faeser an, in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Ausweisung von Islamisten erleichtern soll. Bei Mitgliedern terroristischer Vereinigungen soll das Ausweisungsinteresse künftig höher gewichtet werden. Dies helfe dann auch bei der Abschiebung, sagte Faeser. Wie die nach Afghanistan aber praktisch umgesetzt werden sollen, blieb am Freitag weiter offen. Gespräche gibt es dazu vom Bundesinnenministerium mit Nachbarländern Afghanistans. Welche das sind, sagte ein Sprecher des Ministeriums mit Verweis auf die Vertraulichkeit der Gespräche aber nicht.
Derweil können die Länder nicht sagen, um wie viele schwere Straftäter aus Afghanistan und Syrien es geht. In einer Umfrage des epd unter den zuständigen Ministerien konnte kaum ein Land konkrete Angaben dazu machen. Die einzigen Ausnahmen waren Baden-Württemberg, Bremen und Sachsen. In Stuttgart werden demnach die Fälle von 41 Afghanen und 4 Syrern in den „Sonderstäben Gefährliche Ausländer“ bearbeitet. Das Justizressort nannte zwei konkrete Fälle, die zur aktuellen Diskussion passen. Das Land würde gern einen Afghanen, der wegen Unterstützung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verurteilt wurde, und einen weiteren Afghanen, der wegen Mittäterschaft einer Gruppenvergewaltigung im Jahr 2019 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, abschieben, was derzeit nicht möglich ist.
In Bremen sitzen nach Angaben der dortigen Innenbehörde fünf Straf- beziehungsweise Gewalttäter aus Afghanistan in Haft, sechs aus Syrien. Gründe seien unter anderem besonders schwere Eigentumsdelikte wie räuberische Erpressung, Totschlag, schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, schwere Körperverletzung und Brandstiftung. In Sachsen sitzen nach Angaben des Justizministeriums unter anderem vier Afghanen wegen Mordes, sieben wegen Totschlags im Gefängnis.