Sabrow für erweiterte Gedenkstätten-Förderung

Sabrow für erweiterte Gedenkstätten-Förderung
02.06.2024
epd
epd-Gespräch: Lukas Philippi

Berlin (epd). Der Zeithistoriker Martin Sabrow hat sich für eine Ausweitung der staatlich finanzierten Erinnerungskultur in Deutschland ausgesprochen. Der bisherige Fokus auf Staatsverbrechen ergebe sich zwar aus der Aufarbeitung der beiden Diktaturen im 20. Jahrhundert. Dieser erweise sich aber als zu eng mit Blick auf deren Vor- und Nachgeschichte, sagte der ehemalige Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Er unterstützt damit Pläne von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Sie hatte im Februar einen Entwurf zu einer Aktualisierung der Gedenkstätten-Konzeption vorgelegt. Danach sollen neben NS-Zeit, Schoah und deutscher Teilung künftig auch Kolonialismus, Einwanderungsgesellschaft und die Entwicklung der Demokratie Schwerpunkte der Erinnerungskultur werden.

Am Mittwoch wollen sich Vertreter der Gedenkstätten mit Roth treffen. Nach Protesten war der Entwurf zunächst zurückgezogen worden. Ein neuer Entwurf soll im Herbst vorgestellt werden.

Sabrow sagte, „nur eine Gedenkpolitik, die auch die zivilgesellschaftliche Urheberschaft historischen Unrechts“ in den Blick nehme, könne „dem Zusammenhang von Zivilisation und Barbarei gerecht werden“. Die antirepublikanische Hetze der Weimarer Zeit sei ebenso so wenig vom Staat ausgegangen, wie die Mordanschläge auf demokratische Politiker zwischen 1918 und 1933. Sie seien dennoch unabdingbarer Teil der Erinnerungskultur. Auch Attentate auf bundesdeutsche Politiker, Terroranschläge der RAF, Mordanschläge des NSU oder die pogromartige Hetze gegen Minderheiten seien keine staatlich verordneten Verbrechen gewesen, begleiteten aber die Geschichte der Bundesrepublik bis in die Gegenwart.

Sabrow widersprach dabei dem Vorwurf, eine erweiterte Gedenkstätten-Konzeption sei geschichtsrevisionistisch und führe zu einer Verharmlosung der NS-Verbrechen. Dennoch berge das Vorhaben „geschichtspolitischen Sprengstoff“, sagte der Sprecher des Leibniz-Forschungsverbunds „Wert der Vergangenheit“: „Die Frage nach dem kolonialgeschichtlichen Erbe und fortbestehenden rassistischen Verhaltensmustern und Weltbildern unterläuft die Gegenüberstellung von Diktatur und Demokratie.“ So wecke die Einbeziehung der Demokratiegeschichte in die staatliche Förderpolitik die Sorge „vor einem relativierenden Geschichtsbewusstsein, das die 'vielen hellen Jahre' der deutschen Geschichte nicht durch die 'wenigen dunklen' verschattet wissen will“.

Sabrow zufolge sind die Befürchtungen der Gegner einer Ausweitung der Gedenkstätten-Konzeption aber unbegründet: „Die kritische Vergangenheitsaufklärung“ habe in den vergangenen 40 Jahren „kulturelle Dominanz erlangt“. Sie gehöre heute zum Kern des bundesdeutschen Selbstverständnisses. „Eine thematische Ausweitung“ könne es aber nicht zum Nulltarif geben, eine Mittelaufstockung durch den Bund sei notwendig.