Soziologe: Höcke wird sich nun vorerst zurückhalten

Soziologe: Höcke wird sich nun vorerst zurückhalten
15.05.2024
epd
epd-Gespräch: Nils Sandrisser

Münster (epd). Nach der Verurteilung von Björn Höcke zu einer Geldstrafe erwartet der Münsteraner Soziologe Andreas Kemper, dass sich der Thüringer AfD-Chef künftig in seiner Rhetorik zurückhalten wird. „Er ist jetzt angeschlagen“, sagte Kemper am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Das Landgericht Halle hatte Höcke am Dienstag wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu 100 Tagessätzen à 130 Euro verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er im Mai 2021 bei einer Kundgebung im sachsen-anhaltischen Merseburg die verbotene Parole „Alles für Deutschland“ der Sturmabteilung (SA) der NSDAP verwendet habe. Würde das Urteil rechtskräftig, wäre Höcke vorbestraft.

Bei dem Prozess war es besonders um die Frage gegangen, ob Höcke wusste, dass diese Parole eine Losung der SA war. Kemper sagte dem epd, gar nicht zur Sprache gekommen sei die wesentlich wichtigere Frage, ob Höcke wisse, dass „Alles für Deutschland“ auch ein zentrales Schlagwort der heutigen Neonazis sei. „Wenn es eine Parole gibt, die in der Szene immer wieder skandiert wird, dann ist es 'Alles für Deutschland'“, erklärte der Soziologe. Kemper hat sich intensiv mit der Sprache Höckes befasst und nachgewiesen, dass der AfD-Politiker drei Artikel für Neonazi-Zeitungen verfasst hat.

Wie lange Höckes Zurückhaltung dauere, hänge wahrscheinlich von einem noch ausstehenden Urteil ab, sagte Kemper. Vermutlich muss sich Höcke in Kürze wieder vor dem Landgericht Halle wegen einer Kundgebung im vergangenen Dezember in Gera verantworten. Dort hatte er „Alles für...“ gerufen und das Publikum animiert, das Wort „Deutschland“ zu ergänzen.

Am Zuspruch von Wählerinnen und Wählern für die AfD wird nach Ansicht Kempers weder das Urteil gegen Höcke noch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG) vom Montag viel ändern. Das OVG hatte geurteilt, dass der Verfassungsschutz die AfD weiter als extremistischen Verdachtsfall beobachten darf. „Wer sich vorstellen kann, die AfD zu wählen, nahm ihren Rassismus ja schon bisher mindestens in Kauf“, sagte Kemper. Sollte Höckes NS-Einschlag aber noch deutlicher werden, könnte sich das ändern: „Zwischen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus ist ja doch noch ein Unterschied.“

Wesentlich negativer für die AfD-Umfragewerte als die Urteile wirken sich nach Kempers Worten die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus vom Jahresbeginn und die Spionagevorwürfe gegen AfD-Europakandidaten und deren Umfeld aus. Der verringerte Zuspruch könnte innerhalb der AfD zu Unfrieden führen, wenn Kandidaten auf den hinteren Listenplätzen, die fest mit ihrer Wahl ins Europaparlament gerechnet hatten, aufbegehrten. Dieser Streit könnte mittelbar den Zuspruch für die Partei bröckeln lassen.