Frankfurt a.M. (epd). Nach den gewaltsamen Attacken gegen Politiker wird weiter über Konsequenzen diskutiert. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach sich in den Zeitungen der Mediengruppe Bayern (Samstag) gegen eine Verschärfung von Strafen speziell bei Angriffen auf Amtsträger aus. Auch der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) steht entsprechenden Gesetzesänderungen skeptisch gegenüber. Der Konfliktforscher Andreas Zick plädierte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressdienst (epd) für mehr zivilgesellschaftliches Engagement, um der Verrohung entgegenzutreten.
Lindner sagte den Zeitungen der Mediengruppe Bayern (Samstag): „Experten sagen, dass der Strafrahmen ausreicht, aber die Handlungsfähigkeit der Justiz verbessert werden muss.“ Körperverletzung sei strafbar. „Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Opfer nun ein öffentliches Amt bekleidet oder nicht.“
Der frühere Bundestagspräsident Thierse erklärte, es komme darauf an, wie man einen solchen Straftatbestand formuliert. Dabei dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Sonderrechte für Politikerinnen und Politiker geschaffen werden, sagte er im „Tagesanbruch“-Podcast des Nachrichtenportals t-online (Samstag). Solche Sonderrechte könnten im Gegenteil zu einer größeren Spaltung zwischen einer vermeintlichen politischen Elite und dem Rest des Wahlvolks führen.
Vor rund einer Woche war in Dresden der sächsische SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke niedergeschlagen und schwer verletzt worden, als er Plakate zur Europawahl aufhängte. Auch andernorts gab es Angriffe auf Wahlkämpfer. Am Dienstag wurde die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) bei einem Angriff in einer Stadtteilbibliothek leicht verletzt. Die Innenministerkonferenz sprach sich für Verschärfungen des Strafrechts aus, um Angriffe konsequenter zu ahnden und insbesondere Kommunal- und Europapolitiker besser zu schützen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) setzt auch auf verstärkte Polizeipräsenz. „Es ist gut, dass Schutzkonzepte der Polizei vielerorts hochgefahren, Streifen verstärkt und feste Ansprechstellen für bedrohte Kommunalpolitiker und Ehrenamtliche eingerichtet wurden“, sagte Faeser der „Welt am Sonntag“. „Ich habe zugesagt: Der Bund wird die Länder mit der Bundespolizei an anderen Stellen weiter stark entlasten - etwa bei vielen großen Demonstrationseinsätzen, bei Fußballspielen und anderen Lagen.“
Der Konfliktforscher Zick forderte angesichts der Übergriffe mehr Zivilcourage. „Wenn Menschen, auch Politikerinnen und Politiker, verächtlich gemacht werden, ergreift niemand das Wort“, kritisierte der Wissenschaftler. Herabwürdigende Darstellungen würden verharmlost oder sogar als lustig empfunden. Die Würde der Opfer werde oft schon vorher öffentlich beschädigt.
Verschwörungsideologien und zunehmende Hetze in den sozialen Netzwerken fördern nach Einschätzung des Konfliktforschers Gewaltattacken gegen Politiker. „Die Täter sind überzeugt davon, im Recht und im Kampf gegen die Feinde zu sein, die sie selbst geschaffen haben“, sagte Zick. Zudem sei das Vertrauen in die demokratischen Institutionen massiv eingebrochen.