Frankfurt a.M. (epd). Der Religionssoziologe Detlef Pollack beobachtet in den zurückliegenden zehn Jahren verstärkt antireligiöse Tendenzen in Deutschland. „Durch die Diskussionen über sexualisierte Gewalt in den Kirchen und den Umgang der Kirchen mit den Missbrauchsfällen gibt es inzwischen eine antiklerikale, zum Teil sogar antireligiöse Tendenz in der Gesellschaft“, sagte Pollack dem Evangelischen Pressedienst (epd). Religion werde von vielen für etwas Überholtes, ja sogar Schädliches gehalten. „Mehr als zwei Fünftel der Bevölkerung in Deutschland vertreten derartige Haltungen“, sagte der Seniorprofessor für Religionssoziologie an der Universität Münster.
Gleichwohl schätze ein etwa gleich hoher Anteil der deutschen Bevölkerung christliche Traditionen. Laut einer Erhebung der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2022 stellt für rund 40 Prozent der Befragten das Christentum eine Bereicherung dar. Vor 15 Jahren seien es allerdings noch etwa 70 Prozent gewesen, die dies sagten, betonte Pollack.
Nach am Donnerstag veröffentlichten Zahlen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gehörten ihr im Jahr 2023 noch rund 18,6 Millionen Menschen an, ein Rückgang von über einer halben Million im Vergleich zum Vorjahr. Aktuelle Zahlen der katholischen Kirche werden für den Sommer erwartet.
Das Vertrauen in kirchliche und diakonische Einrichtungen wie Pflegeheime und Kindergärten sei relativ hoch, deutlich höher als das Vertrauen in die Institution Kirche, sagte Pollack. Viele Menschen vertrauten darauf, dass sie oder ihre Angehörigen in kirchlichen Einrichtungen gut versorgt würden. Sinkende Kirchenmitgliederzahlen wirkten sich allerdings auf die Finanzierung von Einrichtungen in diesem Bereich aus.
„Noch sind die Auswirkungen der Mitgliederrückgänge auf die Finanzkraft der Kirchen nicht so stark“, sagte Pollack. Aber man sehe sie bereits. Und die Kirchen sorgten auch vor, legten Gemeinden zusammen, versuchten zu sparen und etwa Gebäude abzustoßen. Auch Dienstleistungen würden nicht mehr so ohne Weiteres übernommen.
Kirchenmitgliedschaft und Religiosität hätten einen Einfluss auf das Engagement für die Gesellschaft. „Je religiöser die Menschen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie in andere Menschen Vertrauen haben“, sagte Pollack. Der Kirche verbundene Menschen hätten auch mehr Vertrauen in staatliche Institutionen. „Die Institutionen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten und das Funktionieren der Gesellschaft garantieren, werden durch dieses Vertrauen gestärkt.“