Berlin (epd). Der Deutsche Caritasverband sieht die Spuren der Corona-Pandemie „tief in der Gesellschaft eingraviert“. Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen hätten sich verdoppelt. „Die Pandemie hatte für viele Menschen schwerwiegende, auch finanzielle Folgen“, erklärte der katholische Verband am Mittwoch in Berlin.
Corona sei nicht Vergangenheit. In den Krankenhäusern der Caritas würden noch immer Infizierte behandelt, in den Reha-Einrichtungen Menschen mit Long-Covid betreut.
„Wir müssen Corona konstruktiv-kritisch aufarbeiten“, sagte Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes. Jede geplante Enquete-Kommission sollte neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch diejenigen einbeziehen, die in der Praxis in der Corona-Zeit Verantwortung übernommen und Lösungen gefunden haben, forderte sie.
Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Corona-Maßnahmen lasse sich nicht pauschal beantworten. Insgesamt hätten sie aber die Ausbreitung des Virus eingedämmt und vulnerable Bevölkerungsgruppen geschützt. Gleichzeitig hätten sie zu erheblichen Belastungen geführt.
So hätte aus heutiger Sicht das anfangs strikte Verbot von Angehörigenbesuchen in Pflegeheimen und Krankenhäusern anders geregelt werden müssen, kritisiert die Caritas rückblickend. Für Menschen, die sich von ihren sterbenden Angehörigen in den Heimen verabschieden wollten, sei im Lockdown die Balance zwischen Schutzmaßnahmen und dem Recht auf zwischenmenschliche Beziehungen nicht immer ausgewogen gewesen.
Auch seien die Schulschließungen über das Notwendige hinausgegangen. „Kinder gerieten aus dem Blick der Fachkräfte in Schulen, Kitas und Freizeitstätten, sie erhielten keine Hilfe bei Problemen in den Familien“, bedauert der katholische Wohlfahrtsverband.
Viele Jugendliche hätten in der Corona-Pandemie den gesellschaftlichen Anschluss oder die berufliche Perspektive verloren. Besonders Mädchen am Übergang zwischen Schule und Beruf leiden nach Feststellung des Verbandes darunter. 35 Prozent der Mädchen zwischen 16 und 19 Jahren wiesen depressive Symptome auf, bei den Jungen seien es 15 Prozent.
Fast jede vierte Frau zwischen 16 und 35 Jahren leide heute noch unter den Folgen der Pandemie. Frauen berichteten von Überforderung, Zukunftsängsten und Vereinsamung, hieß es weiter. Gerade junge Frauen mit Kindern seien während des Lockdowns unter großem Druck gestanden, weil sie Kindererziehung, Betreuung, Begleitung im Homeschooling mit eigener Berufstätigkeit vereinbaren mussten.
Um Krisen wie eine Pandemie zu bestehen, sei ein dicht geknüpftes Netz sozialer Infrastruktur nötig. „Eine krisenresiliente Gesellschaft braucht Pufferkapazitäten in den sozialen Einrichtungen und Diensten“, sagte Welskop-Deffaa. Aus Corona lernen heiße daher auch, in Haushaltsberatungen den Rotstift nicht zuerst im Sozialbereich anzusetzen. „Ein dichtes Netz der Gesundheitsversorgung, Familien- und Sozialberatungsstellen, eine Alten- und Behindertenhilfe mit auskömmlichen Personalschlüsseln - das alles wird dringend gebraucht“, forderte die Caritas-Präsidentin.