Münster (epd). Volksbegriff und Einstellung zu Demokratie, Migranten und Muslimen: Vor dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster haben sich am Donnerstag Vertreter der AfD und des Verfassungsschutzes einen Schlagabtausch zur Einstufung der Partei als rechtsextremer Verdachtsfall geliefert. Nach vierwöchiger Unterbrechung des Verfahrens trieb das Gericht den inhaltlichen Disput voran und verschob Beweisanträge der AfD auf später. Der Verfassungsschutz wies erneut den Vorwurf zurück, die Beobachtung der AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln sei politisch motiviert.
Das OVG muss klären, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD und ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“ zu Recht als rechtsextremistische Verdachtsfälle eingestuft hat - ob es also ausreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gibt. Das Verwaltungsgericht Köln hatte dies 2022 bejaht, die AfD ging dagegen in Berufung. Zudem geht es in Münster um die Einstufung des sogenannten Flügels der AfD als Verdachtsfall und als „gesichert extremistische Bestrebung“. (AZ: 5 A 1218/22, 5 A 1217/22 und 5 A 1216/22) Für die mündliche Berufungsverhandlung sind bis zum 3. Juli zwölf weitere Verhandlungstage angesetzt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) habe Belege und Äußerungen von 750 AfD-Mitgliedern in das Verfahren eingebracht, sagte BfV-Anwalt Wolfgang Roth. Es handle sich überwiegend um Funktions- und Mandatsträger der Partei auf Bundes-, Landes-, Kreis- und Ortsebene. Zum Vorwurf von AfD-Anwalt Christian Conrad, die Beobachtung der Partei sei politisch motiviert, erwiderte Roth, es lägen zahlreiche Gerichtsurteile gegen Landesverbände der AfD vor, die zeigten, dass die Partei zu Recht als Verdachtsfall eingestuft worden sei.
Mit Blick auf den Volksbegriff der AfD sagte Roth, die AfD stelle in ihren öffentlichen Äußerungen ein ethnisch definiertes deutsches Volk über andere Ethnien. Die Partei wolle Migrationsströme umkehren und verwende für diese Vertreibung von Migranten aus Deutschland den Begriff „Remigration“. Die AfD verwies dagegen auf ihr Parteiprogramm: Es werde nichts beschlossen, das gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoße, sagte Bundesvorstand Peter Boehringer.
Die Haltung der AfD zu Flüchtlingen und Zuwanderern wurde am Beispiel des „Einzelfalltickers“ erörtert, mit dem die Partei das angeblich „wahre Ausmaß“ der von Migranten begangenen Gewaltdelikte deutlich machen will. Der Verfassungsschutz erklärte, mit dieser zynisch „Einzelfall“ genannten Sammlung wolle die AfD alle Ausländer diskreditieren und als Gewalttäter darstellen.
Den Vorwurf der Islamfeindlichkeit wies die AfD ebenfalls mit Hinweis auf ihr Programm zurück. Zum Thema Islam gebe es in der AfD unterschiedliche Meinungen, sagte Parteivorstand Boehringer.
Verfassungsschutz-Anwalt Roth hob dagegen erneut die Aussagen von AfD-Vertretern hervor. So werde der Islam als „terroristische Vereinigung“ bezeichnet und in Schriften würden Mädchen vor muslimischen Jungen gewarnt.
Den Prozessauftakt Mitte März hatten die AfD-Anwälte durch zahlreiche Anträge und zusätzliche Zeugenanhörungen in die Länge gezogen. Vor der Fortsetzung am Donnerstag reichte die Partei laut Conrad 457 weitere Beweisanträge mit Anlagen - insgesamt zehn Ordner - sowie mehr als 300 Stunden Videomaterial ein.
Das Medieninteresse war am Donnerstag deutlich geringer als an den ersten beiden Prozesstagen. Am Freitag wird das Verfahren fortgesetzt. Wann das OVG Münster sein Urteil spricht, ist noch ungewiss. Dagegen ist eine Revision möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden müsste.