Natürlich gehört warten, dass was passiert, zum Kern jedes Thrillers, aber wenn die Geduld zu sehr strapaziert wird, bleibt die Spannung über kurz oder lang auf der Strecke. Für den dritten Film dieser 2016 mit "Flucht in die Karpaten" gestarteten Reihe gilt das zwischendurch zwar auch, aber Regisseur Sebastian Ko und Kameramann Christoph Krauss vertreiben die Wartezeit mit viel Augenfutter: Die Bildgestaltung ist ausgezeichnet.
Bereits der Schauplatz ist faszinierend: Das LKA-Duo Landauer und Röwer (Ulrike C. Tscharre, Hanno Koffler) tummelt sich diesmal im tiefverschneiten Nordschweden. Schon die Aufnahmen vom halbvereisten Wasserfall, mit denen der Film beginnt, würden jeden Kalender schmücken. Im Schnee liegt eine Frau, als würde sie schlafen; ihr trotziger Ausruf "Ich habe keine Angst vor dir!" klingt längst nicht so tapfer, wie er gemeint ist.
Wie bei den meisten Thrillern folgt nun eine Rückblende: Eine junge Frau wird in ihrer Wohnung von einem Einbrecher ermordet. Die Tat ist jedoch nur ein sogenannter Kollateralschaden, der Dieb ist auf der Suche nach einer Spur, die ihn zur Schwester des Opfers führt: Vor einigen Jahren ist Anne Herbst (Lisa Wagner) ins Opferschutzprogramm des LKA aufgenommen worden, weil ihr Ex-Freund zur tödlichen Bedrohung geworden ist; bei der letzten Begegnung hat Anne 21 Messerstiche davongetragen. Seither lebt sie in einem schwedischen Therapiezentrum, aber selbst dort hat der Stalker sie nun aufgestöbert. Weil sie die Einrichtung nicht verlassen will, beschließen Landauer und Röwer, dem Mann mit Anne als Köder eine Falle zu stellen. Um die Frau nicht in Gefahr zu bringen, schlüpft die Polizistin in ihre Rolle; und dann beginnt das Warten.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im letzten Film Kos, einem vor sechs Tagen ausgestrahlten "Tatort" aus Dortmund ("Cash"), war die Kameraarbeit ebenfalls ganz vorzüglich. In "Polarjagd" sind vor allem die blaugrauweißen Schneeszenen sehr gelungen, erst recht im Kontrast zu den heimeligen Innenaufnahmen oder den grünen Nachtsichtbildern aus den Überwachungskameras. Trotzdem zieht sich der Krimi zwischendurch etwas, weil der Stalker genauso geduldig ist wie das Duo vom LKA. Für Zeitvertreib sollen nun allerlei Zwischenmenschlichkeiten sorgen, die zum Teil jedoch bemüht wirken.
Außer Anne sind noch ein Therapeut sowie zwei junge Leute in der Einrichtung geblieben, alle anderen sind in Sicherheit gebracht worden. Der cholerische Therapeut benimmt sich zwischendurch allerdings etwas merkwürdig, und dass der jungen Maria (Frida Argento) Frau nichts Besseres einfällt, als den Polizisten anzubaggern, während draußen ein Killer ums Haus schleicht, ist ebenfalls nicht unbedingt schlüssig.
Schade auch, dass Landauer und Röwer über ihre Funktion hinaus kaum Tiefe bekommen. Am interessantesten ist noch die Beziehung zwischen der Polizistin und Anne, die Landauer mit Ignoranz straft, weil sie den Stalker immer noch nicht zur Strecke gebracht hat. Selbst die über weite Strecken gesichtslose Bedrohung erhält mehr Profil, als Anne erzählt, wie sie sich einst in den Mann verliebt hat und wie er immer besitzergreifender geworden ist. Im Rahmen der Handlung wird der Mann jedoch auf den Status als personifizierte Bedrohung reduziert ¬– "ein hochgradiger Psychopath, extrem gewaltbereit" –, weshalb kein Zweifel daran bestehen kann, wie die Geschichte enden muss.
Dass die Rollen weitgehend oberflächlich bleiben, ist angesichts der bisherigen Arbeiten von Dagmar Gabler umso erstaunlicher, denn ihre Drehbücher zeichnen sich oft durch besondere Figuren aus, allen voran der stadtbekannte Grantler, den Burghart Klaußner zuletzt in einem "Tatort" aus München verkörpert hat ("Hackl", 2023).
Ungewöhnlich und besonders ist dagegen die abwechslungsreiche Musik (Matija Strnisa), die mit Hilfe von viel Schlagwerk für Spannung sorgt, aber immer wieder sehr eingängige Oboenpassagen einstreut. Anders als in den meisten anderen Filmen über Deutsche im Ausland ist zudem der Umgang mit der Sprache authentisch: Untereinander sprechen die Schweden schwedisch, mit den Gästen, die natürlich keine Waffen tragen dürfen, verständigen sie sich auf Englisch (mit Untertiteln), sofern sie nicht gebrochen deutsch können. Ein in hohem Tempo geschnittener Alptraum Annes zeigt jedoch, dass "Polarjagd" deutlich mehr Potenzial gehabt hätte: In dieser Sequenz wird der ganze Schrecken der Handlung zu wenigen optisch verstörenden Sekunden destilliert.