Frankfurt a.M. (epd). Der Konfliktforscher Conrad Schetter bezweifelt, dass aus der Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes tatsächlich Lehren gezogen werden. „Die beteiligten Ministerien werden wahrscheinlich sagen, was im Bericht ist, wissen wir und haben wir alles geändert“, sagte der Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch das sei weder im Umgang mit Afghanistan noch mit anderen Krisenregionen zu beobachten. Am Montag veröffentlicht die Enquete-Kommission des Bundestages zum Afghanistan-Einsatz einen Zwischenbericht mit den Ergebnissen aus rund anderthalb Jahren Arbeit.
So behalte der Vorwurf der Kommission, die Beteiligten hätten nicht genug über Afghanistan gewusst, seine Gültigkeit, kritisierte Schetter, der sich seit Jahrzehnten mit dem Land beschäftigt. „Das Wissen über die Konfliktregionen ist eigentlich nicht gegeben, sondern man geht entweder mit vorgefertigten Meinungen rein oder mit einer guten Portion Ignoranz.“ Das habe sich in Mali wiederholt, und auch bei der Ukraine gebe es keine Anzeichen für eine Änderung.
Dem Forscher zufolge wurden die Spitzen der beteiligten Ministerien und auch die Abgeordneten, die dem Afghanistan-Einsatz zustimmen mussten, nicht ausreichend über die Lage informiert. „Die politischen Entscheidungsträger haben Entscheidungen getroffen, ohne zu wissen, was in dem Land passierte.“ Das habe auch an mangelnder Transparenz zwischen den Beteiligten gelegen. Zwar sei es schwierig, in einem Konfliktkontext transparent über Lage und Pläne zu informieren, weil sie den gegnerischen bewaffneten Akteuren nutzen könnten. Aber es gebe geschützte Räume, um etwa dem Bundestag Rechenschaft abzulegen.
Für künftige Missionen müssen sich Schetter zufolge also die Entscheidungsstrukturen ändern. Auch brauche es für jeden Einsatz ein unabhängiges Expertengremium, das die Politik begleite und informiere. Zudem solle Deutschland unabhängiger von den USA agieren, forderte der Experte. „In Afghanistan hat sich die Bundesregierung immer weggeduckt und die Entscheidungen den Amerikanern überlassen.“ Damit habe man es versäumt, selbst politische Verantwortung zu übernehmen und einen eigenen Kurs zu entwickeln. Vielen Beteiligten sei es außerdem nicht in erster Linie um Afghanistan gegangen, sondern darum, den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 einen Gefallen zu tun.
An Geld habe es hingegen nicht gefehlt, betonte der Friedensforscher. „Die Ressourcen, die da waren, sind nur wahnwitzig völlig falsch eingesetzt worden.“ Zudem war das Ziel Schetter zufolge von Anfang an unrealistisch. „Man ging teilweise davon aus, dass Afghanistan nach zehn Jahren eine blühende Ökonomie mit einer wunderbar funktionierenden Demokratie sein würde.“
Nun bleibe nichts anderes übrig, als mit der Talibanregierung zu kommunizieren, damit das Land nicht im Teufelskreis humanitärer Krisen bleibe, sagte Schetter. Da sei die aktuelle Bundesregierung aufgrund der feministischen Außenpolitik zu wenig pragmatisch. „Eine Zusammenarbeit mit den Taliban ist sehr wichtig, um den Frauen im Land das Überleben zu ermöglichen.“