Forscher: Falscher Eindruck über Gewalt gegen Einsatzkräfte

Forscher: Falscher Eindruck über Gewalt gegen Einsatzkräfte
27.12.2023
epd
epd-Gespräch: Nils Sandrisser

Frankfurt a.M. (epd). In der Debatte um Gewalt gegen Einsatzkräfte entsteht nach den Worten des Juristen Tobias Singelnstein schnell ein falscher Eindruck in der Öffentlichkeit. In der Wahrnehmung präsent seien vor allem aufsehenerregende Bilder wie von den Silvesterkrawallen in Berlin im vergangenen Jahr, sagte der Forscher der Goethe-Universität in Frankfurt am Main dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bei der Masse der Fälle gehe es aber um Delikte von geringer Schwere wie Widerstandshandlungen oder Tätlichkeiten. „Dafür reicht es aus, einen Beamten zu schubsen“, erläuterte er.

Anders als die Debatte oft nahelege, sei es fraglich, ob die Gewalt gegen Polizeibeamte oder Rettungskräfte überhaupt zunehme. Das Bundeslagebild, das solche Taten erfasst, zeige in der Tat über die vergangenen Jahre hinweg einen Anstieg der erfassten Fälle. „Das ist aber nur das Hellfeld“, sagte Singelnstein. „Die Frage ist, ob wir tatsächlich einen Anstieg sehen oder ob lediglich mehr Fälle aus dem Dunkel- ins Hellfeld gewandert sind.“

Für letztere Möglichkeit spreche, dass es durch die gesellschaftliche Debatte eine größere Sensibilität für das Thema Gewalt gebe und daher auch eine größere Anzeigebereitschaft. Die Wissenschaft sei sich weitgehend einig darüber, dass die Gewalt in der Gesellschaft insgesamt abnehme. In Bezug auf Einsatzkräfte seien die Forschungsergebnisse zwar nicht eindeutig, erklärte Singelnstein. Dennoch: „Hinter das vermeintlich klare Bild aus dem Bundeslagebild, das einen deutlichen Anstieg zeigt, muss man also ein großes Fragezeichen setzen.“

Früher habe es deutlich drastischere Auseinandersetzungen von Bürgern und Polizei gegeben als heute, etwa in den 1980er und 1990er Jahren jeweils am 1. Mai, sagte der Jurist: „Damit hat die Wirklichkeit heute nicht mehr viel zu tun. Aber in der Polizei wird das anders wahrgenommen und debattiert.“