Frankfurt a.M. (epd). Die Vatikan-Erklärung zur Segnung wiederverheirateter und gleichgeschlechtlicher Paare hat in Deutschland ein geteiltes Echo ausgelöst. Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ nannte das Papier am Dienstag einen „kleinen Schritt in die richtige Richtung“. Die Reforminitiative Maria 2.0 kritisierte, obwohl der Text eine überfällige Öffnung zeige, würden tiefergehende strukturelle Probleme und Diskriminierungen innerhalb der katholischen Kirche damit keineswegs angemessen behandelt.
Der Münsteraner Theologe Michael Seewald bezeichnete die römische Erklärung zu Segensfeiern als „bahnbrechend“. „Was die Entwicklung der Glaubens- und Morallehre angeht, handelt es sich um die bedeutendste Neuerung seit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965“, sagte Seewald dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Dienstag). Es finde damit eine Abkehr von der bisherigen moralischen Verurteilung homosexueller Beziehungen statt.
„Während die offizielle Lehre der Kirche homosexuelle Praktiken bislang als schwere Sünde bezeichnete und der Meinung war, dass aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nichts Gutes erwachsen könne, hat sich die Perspektive nun verändert“, sagte Seewald, der an der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Münster Dogmatik lehrt. Auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften könnten Dinge gelebt werden, die aus Sicht der katholischen Kirche „wahr, gut und menschlich gültig“ seien.
Das vatikanische Dikasterium für die Glaubenslehre hatte am Montag in Rom mit Billigung von Papst Franziskus die Erklärung „Fiducia supplicans“ (deutsch: Das flehende Vertrauen) veröffentlicht. Ihr zufolge ist eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der katholischen Kirche künftig möglich, sie wird vom Ehesakrament aber deutlich abgegrenzt. Paare in „irregulären Situationen und gleichgeschlechtliche Paare“ könnten gesegnet werden, ohne deren Status offiziell gleichzusetzen mit der Ehe zwischen Mann und Frau.
Die in dem Vatikan-Text unternommene Unterscheidung zwischen „Paaren in irregulären Situationen“ und regulären Partnerschaften stelle weiterhin eine gravierende Form der Diskriminierung dar und widerspreche den Menschenrechten, erklärte Maria 2.0 am Montagabend in Essen. Für den Sprecher der Kirchenvolksbewegung, Christian Weisner, hat sich an der Haltung und dem Verständnis der römisch-katholischen Kirchenspitze in Bezug auf die Lebensrealität homosexueller wie auch wiederverheirateter Paare „nicht wirklich etwas geändert“.
Laut dem Münchner Kardinal Reinhard Marx merke man dem Text ein gewisses „Eiern“ an. Auch über die Wortwahl „irreguläre Paare“ zeigte er sich nicht glücklich. Für die Praxis bedeute das, dass für den Seelsorger nun Freiheitspunkte in seinem Handeln dazukommen und er die Menschen vor sich sehe, die sich segnen lassen wollten, erläuterte er am Dienstag im Münchner Presseclub. Ein solches Signal aus dem Vatikan könnte Paare ermutigen, zur Kirche zu kommen.
Der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers sprach von einem „ersten Schritt“ und räumte im „Morgenmagazin“ der ARD ein, dass gleichgeschlechtliche Paare damit noch nicht die Akzeptanz in der katholischen Kirchen erführen, die sie sich wünschten. Aber wer wisse, was in 10, was in 15 Jahren sei, sagte der Bischof des Bistums Dresden-Meißen. Papst Franziskus könne nicht von heute auf morgen mit einem Federstrich wegschieben, was die Kirche über Jahrhunderte gelehrt habe.