Trier (epd). Im Zuge der Untersuchungen zu mutmaßlichen Missbrauchsfällen durch den gestorbenen katholischen Priester Edmund Dillinger werben zwei frühere Staatsanwälte um weitere Rückmeldungen von Betroffenen. „Wir möchten nochmals unsere Unabhängigkeit unterstreichen und sichern strenge Vertraulichkeit zu“, erklären Jürgen Brauer und Ingo Hromada in dem am Mittwoch in Trier vorgestellten zweiten Zwischenbericht. Neun mutmaßlich Betroffene seien mittlerweile namentlich identifiziert. Mit sieben von ihnen hätten sie bereits persönlichen oder schriftlichen Kontakt gehabt. Daneben gebe es weitere potenzielle Betroffene, auf die Dritte hingewiesen hätten, aber zu denen noch nichts Weiteres bekannt sei.
Für das erste Halbjahr 2024 planen die beiden Juristen ihren Abschlussbericht vorzulegen. „Gelingt es nicht, die an verschiedenen Stellen vorliegenden Erkenntnisse zusammenzuführen, besteht die Gefahr, dass die Aufarbeitung insgesamt Stückwerk bleibt“, betonen Brauer und Hromada. Den ersten Zwischenbericht hatten sie bereits im September vorgestellt. Auftraggeber der Studie ist die Stiftung zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier.
Der katholische Priester Dillinger soll über Jahrzehnte hinweg Missbrauchstaten und sexuelle Übergriffe dokumentiert haben. Nach seinem Tod im Alter von 87 Jahren hatte sein Neffe Fotos und Filme gefunden und sich an den Trierer Bischof Stephan Ackermann und die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums gewandt. Dabei hatte es zunächst Uneinigkeit über den korrekten Umgang mit dem Material und der Zuständigkeit gegeben. Auch die Staatsanwaltschaften Saarbrücken und Mainz hatten sich mit dem Fall beschäftigt. Im Saarland hatten Polizeibeamte sichergestellte Dokumente nach Abschluss der Ermittlungen vernichtet.
Dillinger war unter anderem als Lehrer tätig, als Seelsorger für den Cartellverband katholischer deutscher Studentenverbindungen und als Vorsitzender des von ihm gegründeten Hilfsvereins CV-Afrika-Hilfe. Der katholische Priester hatte auch viele Reisen nach Afrika unternommen.
Fotos von beispielsweise Schulausflügen, Klassenfahrten oder Pfadfindertreffen sind Brauer und Hromada zufolge überwiegend unauffällig, „jedoch befinden sich schon unter diesen frühen Lichtbildern Aufnahmen, die auf eine homophil-päderastische Neigung hindeuten“. Dazu zählten spärlich bekleidete männliche Jugendliche in Waschräumen oder gezielte Aufnahmen in ihren Genitalbereich bei Turnübungen. Andere Fotoserien zeigten Dillinger „in scheinbar väterlichem Kontakt zu jungen Männern“. „Er legt ersichtlich stets Wert auf engen Körperkontakt zu diesen, umarmt sie, umfasst sie an Hüfte, Taille, Schulter, Hals, zieht sie an sich oder legt seine Hände auf deren Oberschenkel sowie Gesäß“, heißt es im Bericht. Eine weitere Fotoserie zeige junge, aber erwachsene Männer völlig nackt auf Betten liegend oder beim Duschen.
Nach weiteren Erkenntnissen der Ex-Staatsanwälte soll Dillinger einen 15-Jährigen nach Alkoholkonsum „masturbiert haben“ sowie andere ins Bett gebracht und sich dabei an sie angekuschelt haben. In einer Abiturzeitung des Max-Planck-Gymnasiums Saarlouis von 1996 hatten die Schülerinnen und Schüler ein fiktives Inserat geschaltet: „Er sucht Ihn: Scheinheiliger Heiligenschein (kennt Papst und die Welt) sucht verlorenes Schaf zum Heimleuchten.“ Eine Person habe telefonisch auch von konkreten sexuellen Missbrauchstaten und Misshandlungen gesprochen, heißt es in dem Bericht.
Hromada und Brauer kündigten an, in den kommenden Wochen noch Interviews mit den handelnden Personen des Trierer Generalvikariats zu führen und den Mitgliedschaften Dillingers in Bruderschaften, Foren und Zirkeln nachzugehen. „Ferner hoffen wir sehr, mit damaligen Studentinnen und Studenten in Kontakt treten zu können“, schreiben sie. Die Frauenrechtsorganisation Solwodi suche über Partnerorganisationen in Afrika nach Hinweisen. Auch mit dem katholischen Hilfswerk Missio ständen die früheren Staatsanwälte in Kontakt.
Brauer und Hromada unterstrichen zudem erneut die Bedeutung der Terminkalender Dillingers. Er habe darin detailliert Telefonate, SMS, E-Mails, Treffen und Besuche, Einkäufe, auswärtige Mittagessen oder Messen notiert. Dass ein Großteil der Kalender, die ab 1967 vorgelegen haben, im Auftrag der Saarbrücker Staatsanwaltschaft vernichtet worden seien, stelle „einen herben in seinen Ausmaßen nicht abzuschätzenden Verlust für die Aufarbeitung dar“, schreiben sie.