Berlin (epd). Der Zeitplan für die Einführung der Kindergrundsicherung wackelt. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hält ihn nicht mehr für realistisch. In der ersten Sachverständigen-Anhörung des Bundestags am Montag in Berlin wurde zudem von Kommunalvertretern gewarnt, dass die Hilfen für bedürftige Kinder komplizierter, statt einfacher werden könnten. Sozialverbände kritisierten, die Leistungen fielen in der Regel künftig nicht höher aus als heute. Das richtige Ziel, die Kinderarmut zu senken, drohe verfehlt zu werden.
BA-Vorständin Vanessa Ahuja betonte ausdrücklich, ihre Behörde wolle zum Gelingen der Kindergrundsicherung beitragen: „Wir können die Aufgabe stemmen, brauchen aber Zeit“, sagte sie. Zum geplanten Einführungstermin am 1. Januar 2025 sei aber „die Umsetzung nicht realisierbar“, sagte Ahuja. Die BA-Spitze plädiert für eine stufenweise Einführung ab Juli 2025. Bei der Bundesagentur sind die Familienkassen angesiedelt, die das Kindergeld und den Kinderzuschlag auszahlen. Sie sollen zu Familienservice-Stellen für die Verwaltung der Kindergrundsicherung ausgebaut werden.
Ahuja zufolge sind für die Umsetzung 5.355 zusätzliche Vollzeitstellen nötig. Außerdem seien umfassende IT-Anpassungen erforderlich, für die „die Zeitschiene zur Umsetzung nur grob bestimmt werden“ könne. Erst wenn das Gesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet sei, könne ihre Behörde in die konkrete Umsetzung einsteigen.
Der Bundestag hatte in der vergangenen Woche mit den Beratungen über den Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) begonnen. Der Entwurf sieht vor, dass das heutige Kindergeld, der Kinderzuschlag für Familien mit wenig Einkommen und die Leistungen für Kinder im Bürgergeld oder in der Sozialhilfe zusammengefasst werden. Die Beantragung soll vereinfacht und digitalisiert werden.
Alle drei kommunalen Spitzenverbände, der Städtetag, der Landkreistag und der Städte- und Gemeindebund, kritisierten, für die Verwaltung der Kindergrundsicherung würden neue Behörden und damit Parallelstrukturen geschaffen, statt die vorhandenen Anlaufstellen zu stärken. Viele Familien müssten künftig mindestens zu zwei, möglicherweise zu vier verschiedenen Stellen. Dies würde rund 1,9 Millionen Kinder betreffen, deren Familien auf Bürgergeld angewiesen sind. Heute würden sie umfassend in den lokalen Jobcentern betreut, sagte Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag.
Aus Sicht der Sozialverbände verfehlt die Kindergrundsicherung der Ampel-Koalition ihr zentrales Ziel, die Kinderarmut zu senken. Der Sozialverband VdK, der Paritätische Gesamtverband und die AWO forderten eine Erhöhung des Existenzminimums für Kinder. VdK-Chefin Verena Bentele begrüßte die Reform dennoch als richtigen Schritt zur Armutsbekämpfung und Entstigmatisierung von bedürftigen Familien. Sie forderte den Bundestag auf, sicherzustellen, dass sie sich künftig wirklich nur an eine Stelle wenden müssten. Der AWO-Vertreter Alexander Nöhring nannte es „fatal“, dass Kinder von Asylbewerberinnen und -bewerbern keine Kindergrundsicherung bekommen sollen.
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter erklärte, Alleinerziehende und ihre Kinder hätten mit 42 Prozent das höchste Armutsrisiko aller Familienformen. Deshalb dürfe es für sie keinerlei Verschlechterungen geben. Wo sie drohten, müsse der Entwurf noch geändert werden. So dürfe Alleinerziehenden für die Tage, die das Kind beim Partner ist, die Kindergrundsicherung nicht gekürzt werden.
Die Einführung der Kindergrundsicherung ist zum 1. Januar 2025 geplant. Im Einführungsjahr stehen 2,4 Milliarden Euro an Bundesmitteln zur Verfügung. Davon sind den Angaben zufolge rund 400 Millionen Euro für den Umbau der Verwaltung vorgesehen; die BA geht davon aus, dass dieses Geld nicht reichen wird. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt an oder unter der Armutsgrenze, da seine Eltern weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben.