Experte: Lindners Argumente gegen früheren Kohleausstieg falsch

Experte: Lindners Argumente gegen früheren Kohleausstieg falsch
04.11.2023
epd
epd-Gespräch: Monja Stolz

Berlin (epd). Der Klima-Experte Jakob Graichen widerspricht den Argumenten von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) für einen frühzeitigen Kohleausstieg. „Es gibt gesetzliche Gründe, warum das so nicht stimmt“, sagte der Forscher des Freiburger Öko-Instituts dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Lindner hatte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesagt, für das Klima bringe ein von 2038 auf 2030 vorgezogener Ausstieg „ohnehin nichts, da die in Deutschland eingesparten CO2-Emissionen aufgrund der europäischen Regeln zum Beispiel in Polen zusätzlich anfallen dürfen“.

Lindners Aussagen stützen sich auf den Emissionshandel, ein marktwirtschaftliches Instrument, mit dem seit 2005 in der Europäischen Union der Ausstoß von Treibhausgasen geregelt wird. Seit 2021 gibt es zudem einen nationalen Emissionshandel für Wärme und Verkehr. Dabei werden Rechte erworben, um bestimmte Mengen an Treibhausgasen in die Luft zu blasen. Wer weniger Emissionen ausstößt als erwartet, kann die Rechte wieder verkaufen. Die Ampel-Parteien hatten vereinbart, den Kohleausstieg in Deutschland möglichst von 2038 auf 2030 vorzuziehen, wodurch Emissionen eingespart würden.

Nach Aussagen von Graichen verhindert das deutsche Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, dass die eingesparten CO2-Emissionen an anderer Stelle zusätzlich anfallen dürfen. Wenn Deutschland aus der Kohle aussteige, würden die freiwerdenden Zertifikate gemäß Artikel 8 vom Markt gelöscht werden. Auf europäischer Ebene würde die Marktstabilitätsreserve laut dem Emissions-Experten zumindest einen Teil der freiwerdenden Emissionen löschen. „Dieses 'Wir schalten ab und in Polen wird mehr verfeuert' stimmt also nicht mit der Realität überein“, sagte Graichen.

Lindner lehnt nach eigenen Aussagen einen Ausstieg aus dem Kohlestrom ab, „solange nicht klar ist, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist“. Laut Graichen ist ungewiss, ob ein Kohleausstieg tatsächlich zu einer Strompreissteigerung führt. Wegen hoher CO2-Zertifikatspreise sei Kohle ohnehin kaum noch marktwirtschaftlich rentabel. Zudem blende Lindner aus, dass der Klimawandel Milliarden koste.

Graichen zufolge ist ein schneller Ausbau erneuerbarer Energien für eine Preissenkung entscheidend. Auch Lindner hat einen schnelleren „Zubau von erneuerbaren Energien“ gefordert. Zugleich sprach sich der FDP-Chef aber für eine Intensivierung der deutschen Gasförderung aus, was Emissions-Experte Graichen kritisierte: „Wir versuchen aus den fossilen Energien auszusteigen, eine neue Förderung zu starten ist klimatechnisch absurd.“ Die Gasgewinnung durch Fracking sei teuer und umweltschädlich. Es gebe dafür keine politische Akzeptanz, was Lindner durchaus bewusst sei. „Es ist offensichtlich, dass die FDP das Thema Klimaschutz gerade nicht ernst nimmt.“