Berlin (epd). Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan hat die Abwendung eines Teils der Bürgerinnen und Bürger von der Demokratie beklagt. „Unsere modernen Demokratien starten theoretisch gut, aber sie verlieren praktisch durch das empirische Spiel ungleicher Kräfte inzwischen fast überall an Unterstützung“, sagte sie am Dienstag in Berlin.
Bei einem Festgottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit wies sie in einer Kanzelrede im Berliner Dom darauf hin, dass etwa 20 Prozent der Menschen nicht mehr wählen gingen und damit immer weniger auf dem Schirm der Regierungen seien. Diese würden gewählt, um zügig gute Lösungen zu finden, das gelinge jedoch immer weniger. „Sie werden von einem erheblichen Teil der Bürgerschaft nicht mehr als legitim wahrgenommen“, so Schwan.
Das Recht auf Freiheit biete auch die Möglichkeit, sich in politischen Organisationen zusammenzutun. Daraus entstehe jedoch eine „oft zerstörerische Konkurrenz zwischen Interessengruppen und Lobbys, die sich gegenseitig übertrumpfen“, sagte Schwan weiter. Wer eine Milliarde auf dem Konto oder in Aktien angelegt habe, könne sich nicht nur privat mehr leisten, sondern auch über andere herrschen, sie sogar ausbeuten, wenn staatliche oder international europäische Gesetze ihn nicht daran hindern.
Die 80-jährige Gesine Schwan war von Oktober 1999 bis September 2008 Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Von 2010 bis 2014 war sie Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance. 2004 und 2009 kandidierte sie für die SPD für das Amt der Bundespräsidentin. Sie ist Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD.