Reerdigung: Wenn der Leichnam zur Wiese wird

Reerdigung: Wenn der Leichnam zur Wiese wird
In Schleswig-Holstein soll die "Reerdigung", also die Kompostierung von Verstorbenen, als zusätzliche Bestattungsform etabliert werden. Doch kurz vor der Novellierung des Bestattungsgesetzes hagelt es Kritik an dem bundesweit einmaligen Projekt.

Kiel (epd). Seine Oma brachte ihn auf die Idee: Als der Berliner Pablo Metz seine 96-jährige Großmutter fragte, wie sie einmal beerdigt werden wolle, fiel ihr die Antwort schwer. „Verbrannt werden wollte sie nicht. Und mit dem Gedanken, in der Erde langsam zu verwesen, konnte sie sich auch nicht anfreunden“, sagt Pablo Metz.

Ihn reizte die Idee, neben Urne und Sarg eine dritte Bestattungsform zu entwickeln. Mit einem Expertenteam entwickelte er die Reerdigung, die es in ähnlicher Weise in manchen Bundesstaaten der USA gibt. Seit Februar 2022 bietet sein Start-up „Meine Erde“ sie als Pilotprojekt in Schleswig-Holstein an. Das Unternehmen wirbt damit, dass es sich um eine besonders nachhaltige und sanfte Art der Bestattung handeln soll.

In den Kapellen des Kieler Parkfriedhofs und des Friedhofs in Mölln (Herzogtum Lauenburg) stehen je eine graue Wanne aus recyceltem Kunststoff, die das Unternehmen als Kokons bezeichnet. Der nackte Leichnam wird darin auf Heu und Stroh gebettet. Dann wird der Kokon für 40 Tage verschlossen. „Wir arbeiten ohne Chemikalien. Nur Sauerstoff führen wir zu“, sagt Metz. Ein beschleunigter, natürlicher Verwesungsprozess beginnt mithilfe der körpereigenen Mikroorganismen des Toten.

Nach 40 Tagen ist das Weichgewebe des Verstorbenen zu Erde geworden, die eine humusartige Struktur hat. Wie bei einer Feuerbestattung auch, bleiben aber Knochen übrig, die durch eine Knochenmühle gedreht und der Erde wieder beigemischt werden. Die Beisetzung auf dem Friedhof kann dann ohne Sarg erfolgen.

Der forensische Entomologe Marcus Schwarz von der Universität Leipzig hat die Pilotphase mit seinem Team wissenschaftlich begleitet und verschiedene Erdproben untersucht. Die Studie stehe kurz vor der Publikation, sagt er. Für ihn ist die Reerdigung nach bisherigen Erkenntnissen unbedenklich für Mensch und Umwelt. Im Gegenteil: „In einem ruhigen, gesteuerten Ökosystem entsteht ein hochpotenter Boden“, sagt Schwarz.

Eine normale Sargbestattung sei dagegen ökologisch gesehen überhaupt nicht zielführend. „Wenn die Leute wüssten, wie sie nach zwei Jahren unter der Erde aussehen, würden sich viele sicherlich so nicht mehr bestatten lassen wollen“, erklärt Schwarz. Durch den Luftabschluss in den massiven Särgen verlangsame sich der Verwesungsprozess. Das Ergebnis seien oft von Schimmel befallene Wachsleichen. Hinzu komme die synthetische Kleidung der Leichen, die oft schwer verrotte.

„Meine Erde“ wirbt zudem damit, dass es gegenüber einer Feuerbestattung keine fossilen Brennstoffe für eine Reerdigung braucht. Lediglich 25 bis 30 Kilowattstunden Strom seien für die technischen Prozesse nötig. Elf Reerdigungen seien in Schleswig-Holstein bereits erfolgt, sagt Metz. Die Nachfrage sei groß. Sobald Planungssicherheit besteht, möchte „Meine Erde“ das Angebot ausbauen.

Die schwarz-grüne Landesregierung steht der Reerdigung offen gegenüber, das Bestattungsgesetz soll dahin gehend überarbeitet werden. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse aus Leipzig liegt den Behörden nach Angaben von „Meine Erde“ bereits vor. Eine Anhörung eines ersten Entwurfes habe bereits stattgefunden und werde derzeit ausgewertet, heißt es aus dem Kieler Justizministerium.

Auch beide christlichen Kirchen sprachen sich für die weitere Bestattungsform aus. „Aus theologischer Sicht ist die Reerdigung Teil eines Kreislaufs. Wir kommen aus der Erde und werden wieder zu Erde“, sagte Almut Witt, Pröpstin im evangelischen Kirchenkreis Altholstein, wo ein Teil der Pilotphase läuft. Sie erlebe einen sehr „würde- und liebevollen Umgang“ mit den Toten und ihren Angehörigen.

Doch das Projekt erntet nicht nur Beifall. In der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ (39/23.9.2023) wird dem Berliner Unternehmen Vetternwirtschaft vorgeworfen. Ein dem Pilotprojekt zugrunde liegendes Rechtsgutachten stammt von dem Ehemann des Geschäftsführers der Stiftung Reerdigung, die zu „Meine Erde“ gehört. In dem Gutachten stuft der Bestattungsexperte Torsten Barthel die Reerdigung als eine zulässige Form der Erdbestattung ein.

Barthel wies den Vorwurf gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) zurück. Er sei Anfang 2020 von Pablo Metz für das Gutachten angefragt worden und sein Mann habe erst durch ihn von dem Projekt erfahren. „Als er 2023 bei der Stiftung angestellt wurde, waren meine wesentlichen Tätigkeiten für das Unternehmen abgeschlossen“, sagte Barthel.

Auch aus einem Interview mit dem Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel zitiert der „Spiegel“. In der im September erschienenen Zeitschrift „Bestattungskultur“ sagt Püschel, dass es sich bei der gewonnenen Erde nicht um Humus handle, da er „relativ viel verfaultes Fleisch“ enthalte. In Deutschland dürften aber nur pflanzliche Reste kompostiert werden. Außerdem bemängelt er eine mangelhafte Datenlage und äußert ethische Bedenken.

Marcus Schwarz von der Uni Leipzig kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen. „Da die Reerdigung unter der Zugabe von Sauerstoff läuft, handelt es sich nicht um einen Fäulnis-Prozess. Hier wird lediglich die natürliche Verwesung beschleunigt.“ Durch die große Hitzeentwicklung in dem Kokon bis zu über 70 Grad würden auch die Auflagen des Infektionsschutzes erfüllt.

Die Oma von Pablo Metz wird nicht mehr erfahren, ob sich die Reerdigung in Deutschland durchsetzt. Anfang 2023 ist sie mit 99 Jahren gestorben. Auf eigenen Wunsch wurde sie in Mölln reerdigt.