Berlin (epd). Die große Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland wächst nach Einschätzung des UN-Kinderhilfswerks Unicef unter positiven und in vielerlei Hinsicht privilegierten Bedingungen auf. Dennoch gerieten immer mehr Kinder ins gesellschaftliche Abseits und könnten die Chancen, die ihnen zustehen, nicht nutzen, heißt es im Unicef-Bericht 2023 zur Lage der Kinder in Deutschland, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Dazu gehörten Kinder, die in Familien mit niedrigen Einkommen leben, deren erste Sprache nicht Deutsch ist oder die als Geflüchtete nach Deutschland kommen.
Der Vorstandsvorsitzende von Unicef Deutschland, Georg Graf Waldersee, sagte, Handlungsbedarf bestehe vor allem im Bildungsbereich. Deutschland müsse dringend in die Bildung von Kindern und Jugendlichen investieren, vor allem in die unterfinanzierten Grundschulen. Es entscheide sich weitgehend im Grundschulalter, ob Kinder ihre Talente entfalten können. Waldersee betonte, eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler sei ebenso erforderlich wie eine hochwertige Ganztagsbetreuung.
Der Familiensoziologe und Autor des Berichts, Hans Bertram, sagte, die Politik reagiere nicht angemessen auf die wachsende Zahl von Kindern in Deutschland. „Wir investieren in den Grundschulbereich so viel wie Bulgarien und sind auch so schlecht wie Bulgarien“, sagte Bertram. Dass jährlich rund 50.000 Jugendliche die Schulen ohne Abschluss verließen, dürfe nicht hingenommen werden. Diese jungen Menschen müssten aufgefangen werden.
In dem Bericht fordert Unicef Deutschland auch Investitionen in die frühkindliche Bildung, die Sprachförderung und für Kindertagesstätten. Waldersee sagte, in Deutschland seien rund 1,3 Millionen Kinder dem Risiko dauerhafter Armut ausgesetzt. Viele staatliche Leistungen kämen bei den Kindern nicht an oder seien zu knapp bemessen. Die geplante Kindergrundsicherung sei ein wichtiger Baustein auf dem Weg, Kinderarmut entgegenzuwirken. Von der Bundesregierung werde nun erwartet, in der zweiten Hälfte ihrer Regierungszeit „Umfang und Tempo ihrer Bemühungen für Kinder zu steigern“. Es dürften nicht immer mehr Kinder ins gesellschaftliche Abseits geraten.
Dem Bericht zufolge ist die Lebenszufriedenheit der Jugendlichen in Deutschland von 2021 zu 2022 eingebrochen. Deutschland teile sich mit Bulgarien bei den verglichenen Ländern den letzten Platz, hieß es. Diese Veränderungen seien jedoch kaum auf die Pandemie zurückzuführen, weil andere Länder, die in der Pandemie sehr restriktive Beschränkungen bei Jugendlichen durchgesetzt hätten, solche Einbrüche nicht aufwiesen. Dazu gehörten Österreich, Polen und Finnland.
Da dieser Einbruch in keinem anderen europäischen Land zu beobachten sei, könne die Pandemie nicht die alleinige Ursache sein. Die Hintergründe der Entwicklung sollten deshalb genauer untersucht werden, denn die Zukunft der Gesellschaft hänge auch vom Optimismus der nachwachsenden Generation ab.