Eine 85-Cent-Sonderbriefmarke wird das Jubiläum bundesweit bekannt machen: Vor 400 Jahren entwickelte der Tübinger Universalgelehrte Wilhelm Schickard die erste Rechenmaschine. Bei einem Festakt an der Universität wird das Bundesfinanzministerium die Gedenkbriefmarke vorstellen und eine 20-Euro-Sammlermünze "400 Jahre Rechenmaschine" nach einem Entwurf des Künstlers Florian Huhoff. Anschließend ist bei einem Symposium der Weg des Rechnens von der mechanischen Rechenmaschine bis zum Quantencomputing Thema.
Schickard (1592-1635) war einer jener württembergischen Theologen, die der Nachwelt stärker durch ihre naturwissenschaftliche als ihre theologische Leistung im Gedächtnis geblieben sind. Vor 400 Jahren erfand er die erste urkundlich erwähnte Rechenmaschine. Heute ist das Institut für Informatik an der Universität Tübingen nach Schickard benannt.
Seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen hatte der in Herrenberg geborene spätere Universalgelehrte jedoch als Theologe. Mit 22 Jahren war er Diakon in Nürtingen. Neben seinem Gemeinde-Pfarrdienst beschäftigte er sich auch intensiv mit alten Sprachen, Astronomie und Mathematik. Eng befreundet war er mit dem Astronomen Johannes Kepler. Dieser nannte Schickard wegen seiner praktischen und zugleich wissenschaftliche Begabung einen "beidhändigen Philosophen".
Schickards mechanische Rechenmaschine konnte Addition und Subtraktion und über einen kleinen Umweg auch Multiplikation und Division durchführen. Ein Brief von Schickard an Kepler vom 20. September 1623 belegt die Erfindung. Dort skizzierte Schickard auch den Bauplan.
Brand und Krieg vernichten einzige Exemplare
Das einzig vollendete Exemplar ist jedoch in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs verschollen. Eine zweite Ausführung, die Schickard für seinen Freund Johannes Kepler zur Berechnung der komplizierten Planetenbahnen in Auftrag gegeben hatte, wurde bei einem Brand in der Werkstatt des "Mechanicus" Johann Pfister vernichtet.
Die Tübinger Rechenmaschine stand in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufschwung der exakten Wissenschaften zu Beginn des 17. Jahrhunderts, erklärt der Tübinger Informatiker Professor Herbert Klaeren. Und: "In Schickards Konstruktion sind die Kernelemente der Informatik enthalten", sagt Professor Oliver Bringmann, Sprecher des Fachbereichs Informatik an der Universität Tübingen. Erst im 18. Jahrhundert sollten Rechenmaschinen mit höherer Leistungsfähigkeit gebaut werden.
Tüftelei ließ Schickard nicht los
Der Theologe Schickard wurde 1619 zunächst zum Professor für Hebräisch und andere biblische Sprachen an die Universität Tübingen berufen. Die Tüftelei ließ ihn aber nicht los. Für seine Studierenden entwickelte er eine Lernhilfe aus aufeinander liegenden, drehbaren Scheiben mit hebräischen Verben und Endungen. So konnten sie sich die komplizierten Konjugationen leichter merken. Im Jahr 1631 wurde Schickard als Nachfolger des Astronomen und Mathematikers Michael Mästlin auf die Professur für Astronomie, Mathematik und Geodäsie berufen. Als Schulaufseher inspizierte er daneben Lateinschulen in Württemberg und vermaß auf seinen Reisen das Land. Anschließend zeichnete er aus den Daten viel genauere Karten, als es sie bis dahin gegeben hatte.
Das Leben von Schickard, seiner Frau und seinen vier Kindern endete wie zu jener Zeit oft: Kaiserliche Truppen wurden in Tübingen einquartiert und brachten die Pest mit. Nach dem Pest-Tod der gesamten Familie ging das Wissen um die Rechenmaschine verloren und Historiker erklärten den französischen Philosophen Blaise Pascal, der zwanzig Jahre später eine eigene mechanische Rechenmaschine entwickelte, zu ihrem ersten Erfinder. Pascal hatte als 19-Jähriger im Jahr 1642 - um seinem Vater, einem französischen Beamten, die Arbeit zu erleichtern - ebenfalls eine Rechenmaschine, die "Pascaline" entwickelt.
Schickards Skizzen tauchten schließlich über Umwege Mitte der 1930er-Jahre in St. Petersburg wieder auf, berichten die Experten der Universität Tübingen. Der Wissenschaftshistoriker und Kepler-Forscher Franz Hammer wies 1957 anlässlich eines Mathematikerkongresses dann erstmals öffentlich darauf hin, dass Schickard als Erfinder der ersten Rechenmaschine zu würdigen sei. Anhand von Zeichnungen und Beschreibungen aus den Nachlässen Schickards und Keplers rekonstruierte der Tübinger Professor Bruno von Freytag-Löringhoff zwischen 1957 und 1960 die Schickardsche "Rechenuhr" und stellte ihre Funktionstüchtigkeit unter Beweis. Nachbauten sind heute unter anderem in der Computersammlung der Universität Tübingen, im Tübinger Stadtmuseum und im Kepler-Haus in Weil der Stadt zu sehen. Im Internet gibt es per App mittlerweile auch ein virtuelles Exemplar.