Berlin (epd). Vier Fünftel der Erwachsenen in Deutschland glauben nicht, dass sie die Kosten für ihre Pflege selbst aufbringen könnten. Der Paritätische Gesamtverband und ver.di forderten deshalb gestützt auf eine aktuelle forsa-Umfrage am Donnerstag in Berlin, die Finanzierung der Pflege grundlegend zu reformieren. Eine Pflegevollversicherung müsse alle Ausgaben für die Pflege im Heim oder zu Hause übernehmen, erklärten sie.
Die Politik habe eine breite Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich, wenn sie das Finanzierungsproblem endlich anginge, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider.
Laut der forsa-Umfrage im Auftrag des Bündnisses für eine Pflegevollversicherung befürworten parteiübergreifend 81 Prozent der Bevölkerung den Umbau der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung. Unter den Anhängern der Grünen sind es 82 Prozent, bei FDP-Wählern immer noch 76 Prozent. Dem Bündnis für eine Pflegevollversicherung gehören neben dem Paritätischen und ver.di der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sowie weitere Sozial- und Pflegeverbände an.
Die Befragten sollten außerdem angeben, mit welchen Ausgaben sie für einen Heimplatz rechnen. Dabei zeigte sich der Umfrage zufolge, dass drei Viertel die Kosten unterschätzen. In einem Pflegeheim müssen Bewohner im ersten Jahr im Bundesdurchschnitt 2.700 Euro pro Monat selbst zahlen, davon entfallen auf die reine Pflege 1.250 Euro, der Rest auf die Zuzahlung zu den Unterbringungs- und Verpflegungskosten. Für die repräsentative Erhebung wurden Anfang August 1.010 über 18-Jährige online befragt.
Die inzwischen zwei Jahrzehnte alte Forderung nach einer Bürgerversicherung in der Pflege erhält aus Sicht des Bündnisses neue Dringlichkeit durch die stark steigenden Kosten für die rund fünf Millionen pflegebedürftigen Menschen im Land. Der Vorsitzende des BIVA-Pflegeschutzbundes, Manfred Stegger, sagte, besonders schlimm sei, dass auch Menschen in die Sozialhilfe rutschten, die für ihre Pflege gespart hätten. Die Ausgaben summierten sich inzwischen schnell auf 20.000 bis 30.000 Euro im Jahr.
Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesverband forderte, die Politik müsse das gesellschaftliche Problem der Pflege lösen. Es dürfe nicht an einer Partei scheitern, wenn eine so große Mehrheit in der Bevölkerung für eine Pflegevollversicherung sei, kritisierte sie mit Blick auf die FDP, die auf zusätzliche private Vorsorge setzt und in der Ampel-Koalition Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung ablehnt.
Um die Ausgaben beherrschbar zu halten, sieht das Konzept für eine Vollversicherung vor, die private Pflegeversicherung abzuschaffen, den Pflegebeitrag auf alle Einkommensarten zu erheben, statt nur auf Erwerbseinkommen, und die Beiträge für besonders gut verdienende Mitglieder zu erhöhen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt wären, würden die Beiträge nur geringfügig steigen müssen, versicherte Bühler. Dazu, was den Staat und die Beitragszahler eine Pflegevollversicherung unter den gegenwärtigen Bedingungen kosten würde, legte das Bündnis keine aktuellen Schätzungen vor.
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva-Maria Welskop-Deffaa, warnte vor einer Überfrachtung der Pflegeversicherung. Sie müsse zwar so weiterentwickelt werden, dass sie auch bei langandauernder Pflegebedürftigkeit die notwendigen Leistungen abdecke. Sie sprach sich aber gegen eine Vollversicherung für alle aus. „Wir brauchen kein Erbenschutzprogramm“, erklärte Welskop-Deffaa. Wer alt und krank sei, könne auch sein Vermögen für die Pflege aufzehren.
Der Präsident der Patientenschutzstiftung, Eugen Brysch, nannte die Äußerung der Caritas-Präsidentin „starken Tobak“. Pflege, die arm mache, dürfe nicht in dieser Form bagatellisiert werden, erklärte er.