Berlin (epd). Deutschland unternimmt laut einer unabhängigen Expertise nicht genug, um Menschen mit Behinderungen gleichzustellen. In den vergangenen Jahren hätten die Anstrengungen, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) umzusetzen, sogar nachgelassen, bemängelt das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) in seinem aktuellen Bericht, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Die zuständige Monitoring-Stelle des Instituts kritisiert vor allem das System von Sonderstrukturen. Das sind Förderschulen, auf die mehr als die Hälfte aller Kinder mit Behinderungen gehen, die Werkstätten für rund 300.000 Menschen mit Behinderungen und große stationäre Wohneinrichtungen, in denen 160.000 Erwachsene leben. „Es wird viel über Inklusion diskutiert, konsequent in die Tat umgesetzt wird sie nicht“, erklärte der Leiter der Monitoring-Stelle, Leander Palleit.
Völlig unzureichend sind dem Bericht zufolge auch die Regelungen für die Privatwirtschaft und das Gesundheitswesen. Weil es beispielsweise immer noch keine gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit gibt, sind höchstens zehn Prozent der Arztpraxen in Deutschland für Menschen im Rollstuhl zu erreichen. Damit werde die freie Arztwahl für diese Personen eingeschränkt, kritisiert der Bericht.
Deutschland hat sich 2009 zur Umsetzung der UN-Konvention verpflichtet. Im Kern garantiert sie allen Menschen mit Behinderungen Selbstbestimmung über ihr Leben, Wohnen und Arbeiten und die vollständige Inklusion in Schule und Kindergarten, im Arbeitsleben und in der Freizeit sowie im Gesundheits- und Sozialsystem.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist unabhängig und wird vom Bundestag finanziert. Zu seinen Aufgaben gehört es, regelmäßig die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland zu überprüfen. Zusätzlich zum Regierungsbericht erstellt das Institut einen Parallelbericht, der Erkenntnisse aus Sicht der Betroffenen und der Zivilgesellschaft liefert. Alle Vertragsstaaten der Behindertenrechtskonvention liefern ihre Berichte an den zuständigen UN-Ausschuss in Genf. Die Umsetzung der Konvention durch Deutschland wird Ende August zum zweiten Mal geprüft.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lebten Ende 2021 rund 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland, das sind 9,4 Prozent der Bevölkerung. Darunter fallen alle Personen mit einem Behinderungsgrad über 50, die einen Schwerbehindertenausweis haben. Nur drei Prozent der Betroffenen sind von Geburt an behindert. Neun von zehn schweren Behinderungen sind Krankheitsfolgen.