Berlin (epd). Zwei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban und dem überstürzten internationalen Rückzug aus Afghanistan werden Forderungen nach Schutzkonzepten für Ortskräfte deutscher Institutionen laut. Der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks Ortskräfte, Marcus Grotian, forderte am Samstag bei einer Diskussionsveranstaltung in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin, Pläne für „worst case“-Szenarien, wenn in einem Land wie in Afghanistan die schlimmstmögliche Entwicklung eintritt. Anders als noch vor einem Jahr nahm bei diesem zweiten Ortskräftekongress niemand vonseiten der Bundesregierung an der Debatte teil.
Grotian kritisierte mit Blick auf Ortskräfte in afrikanischen Krisenländern, „es gibt keine Werkzeuge, diesen Menschen zu helfen“. Das Ortskräfteverfahren zur Aufnahme ehemaliger Angestellter gelte allein für Afghanistan. Das Verfahren zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte in Deutschland müsse daher auf andere Länder ausgeweitet werden. Das Patenschaftsnetzwerk hat den Kongress mitorganisiert.
Qais Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk, der einst selbst Ortskraft der Bundeswehr in Afghanistan war, beschrieb die Lage einstiger afghanischer Helfer, die vergessen worden seien. Er kritisierte, dass beim vereinfachten Aufnahmeverfahren der Bundesregierung nur Ortskräfte berücksichtigt seien, die ab 2013 für Deutschland tätig gewesen seien. Personen, die eine Tätigkeit bis 2012 hatten, hätten „keine Chance“.
Die Afghanistan-Referentin Alema Alema von der Organisation Pro Asyl wies indes darauf hin, dass über das Bundesaufnahmeprogramm nach wie vor keine einzige Person nach Deutschland gekommen sei. Das im vergangenen Oktober gestartete Programm, das den Fokus unter anderem auf gefährdete Menschenrechtsaktivistinnen legt, war im März wegen Sicherheitsbedenken teilweise ausgesetzt worden. Ende Juni wurde angekündigt, dass Einreisen nach Deutschland wieder ermöglicht würden.
Auf dem Kongress mahnten mehrere Afghaninnen, dass die Taliban nicht anerkannt werden dürften. Eine Rednerin von der Gruppe „AfgActivistCollective“ forderte von Deutschland Aktionen und nicht nur Worte. Sie äußerte auch Vorwürfe gegen Nichtregierungsorganisationen. In der Zeit des 20-jährigen internationalen Engagements seien in das Land entsandte Angestellte dieser Organisationen reich geworden. Am Ende hätten sie ihre afghanischen Beschäftigten im Stich gelassen.
Eine Rede hielt auch Marcel Bohnert vom deutschen Bundeswehrverband, der selbst einst für sieben Monate im afghanischen Kundus gedient hat. Er sagte, niemand in der Bundeswehr habe den Hindukusch so verlassen, wie er dorthin gekommen sei. Die Machtübernahme der Taliban sei auch ein Schock für viele Veteraninnen und Veteranen gewesen, viele spürten auf persönlicher Ebene eine Verantwortung für das Land und die Menschen.
Vor einem Jahr hatte an dem ersten Kongress dieser Art die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), teilgenommen. Diesmal sprach kein Vertreter der Bundesregierung zu den Anwesenden. Friederike Krippner von der Evangelischen Akademie zu Berlin sagte in ihrer Eröffnungsrede, „als Kirche können wir nur unsere Räume öffnen. Wir können zu diesem Dialog einladen“. Das geschehe aus Überzeugung, dass Politik und Zivilgesellschaft miteinander im Gespräch bleiben müssten. Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), die zunächst im Programm angekündigt war, nahm kurzfristig ebenfalls nicht teil.