Mainz (epd). Neun Jahre nach dem Überfall der Terrormiliz „Islamischer Staat“ auf die Jesiden im Nordirak dringen Vertreter der Bundesregierung und der Europäischen Union auf einen Wiederaufbau der bis heute zerstörten Sindschar-Region. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte am Donnerstag in Brüssel, viele Vertriebene könnten nicht in ihre Häuser zurückkehren, der Zugang zur Grundversorgung sei eingeschränkt und die Sicherheitslage weiter instabil. Der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), versprach den weiteren Einsatz dafür, dass Jesidinnen und Jesiden „eine Zukunftsperspektive haben und in ihre Heimat zurückkehren können“.
Borrell appellierte an die irakische Regierung in Bagdad sowie an die Regierung der nördlichen Autonomieregion Kurdistan, das Sindschar-Abkommen weiter umzusetzen. Der Pakt wurde auf Vermittlung der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak (UNAMI) vereinbart. Ziel ist der Wiederaufbau und die Rückkehr von Vertriebenen.
Der Religionsfreiheitsbeauftragte der Bundesregierung versicherte: „Deutschland wird alles dafür tun, dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden.“ Auch setze sich die Bundesregierung für eine angemessene Entschädigung der Opfer ein, sagte Schwabe.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Eziden in Deutschland, Irfan Ortac, forderte auf einer Gedenkveranstaltung am Donnerstag in Mainz unter der Schirmherrschaft der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) die Bundesregierung auf, Gerechtigkeit für die Opfer des Genozids sicherzustellen. Allerdings gebe es Diskriminierungen selbst in Deutschland. Jesidische Kinder würden auch auf deutschen Schulhöfen rassistisch beleidigt und hätten Angst, ihre Identität preiszugeben, sagte Ortac.
Er beklagte, dass Vorurteile gegen die Jesiden im Nahen Osten durch Einwandererfamilien in Deutschland weiter bekräftigt würden, wie er dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Er kritisierte, die nordrhein-westfälische Landesregierung fördere ein Projekt der Kurdish-European Society mit Sitz in Köln, in dem Jesiden Hass gegen Muslime unterstellt werde und unter der Überschrift „Versöhnung“ Jesiden islamisch missioniert werden sollten. Es sei eine Frechheit, einem seit Jahrhunderten unterdrückten Volk Hass gegen die Mehrheit vorzuwerfen, sagte Ortac. Dies stelle eine Täter-Opfer-Umkehrung dar.
Am 3. August 2014 kamen IS-Kämpfer in die jesidischen Dörfer, mit dem Ziel, die religiöse Minderheit auszulöschen. Tausende Frauen und Kinder wurden verschleppt, Männer wurden getötet. Hunderttausende Menschen mussten fliehen. Im vergangenen Januar erkannte der Bundestag die Gräueltaten als Genozid an.
Die Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur (SPD) sagte in Mainz: „Der blinde Hass hat Leben ausgelöscht, aber nicht den Kampfgeist und Mut der Jesidinnen und Jesiden.“ Gemeinsam mit dem FDP-Abgeordneten Peter Heidt versicherte Türk-Nachbaur, der Bundestag wolle die Jesiden bei der Wiedergewinnung ihrer Identität unterstützen. Projektanträge für jesidische Gedenk-, Dokumentations- und Bildungsstätten seien in Arbeit.
Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, deren Wurzeln bis 2.000 Jahre vor Christus zurückreichen. Sie nahm Glaubenselemente, Riten und Gebräuche westiranischer und altmesopotamischer Religionen sowie von Juden, Christen und Muslimen auf. Die Gemeinschaft selbst schreibt sich „Êzîden“.