Brüssel (epd). Der EU-Gipfel ist ohne eine Einigung in Fragen der Migrationspolitik zu Ende gegangen, weil Polen und Ungarn den erst vor drei Wochen getroffenen Asylkompromiss nicht mittragen. Insbesondere lehnen sie den geplanten Solidaritätsmechanismus ab, der die verpflichtende Verteilung einer geringen Zahl von Schutzsuchenden auf die Mitgliedstaaten vorsieht. Polen und Ungarn wurden bei dem Reformvorhaben Anfang Juni überstimmt. Rein formal hat ihre Blockade keine Konsequenzen für den Gesetzgebungsprozess, politisch aber ist sie schwerwiegend.
Nach jahrelangen Verhandlungen hatten sich die Innenminister Anfang Juni auf einen Kompromiss für eine EU-Asylreform geeinigt. „Aus meiner Sicht ein großer Durchbruch“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Unter anderem sollen Staaten einen Solidaritätsmechanismus auslösen können, wenn sie unter hohen Migrationsdruck geraten. Pro Jahr sollen demnach mindestens 30.000 Menschen umverteilt werden können. Staaten, die keine Flüchtlinge und Migranten aufnehmen wollen, können stattdessen Ausgleichszahlungen in Höhe von 20.000 Euro pro abgelehnter Person leisten.
Auch wenn Polen und Ungarn den Gesetzgebungsprozess nicht mehr stoppen können, so können sie doch die Umsetzung der Reform gefährden und kündigten das bereits beim Gipfel an. Scholz äußerte sich dennoch zuversichtlich. Er sei weiterhin beeindruckt von der neuen Solidarität der EU-Staaten, welche die Einigung der Innenminister Anfang Juni belege: „Ich glaube, wenn die Vorschläge erst umgesetzt sind, dann werden sich auch alle daran halten.“ Insbesondere, dass Staaten zwischen Aufnahme und finanziellem Beitrag wählen könnten, sei ein Novum. Es komme jetzt darauf an, das Paket zügig vor den Europawahlen im Juni 2024 zu verabschieden.
Während Polen und Ungarn die Asylreform nicht weit genug geht, steht sie in Deutschland wegen einer Verschärfung des Asylrechts in der Kritik. Insbesondere die geplanten Grenzverfahren, die schnellere Asylentscheidungen an den Außengrenzen sowie schnellere Abschiebungen bewirken sollen und mit haftähnlichen Bedingungen für Asylbewerber einhergehen, stoßen bei Nichtregierungsorganisationen und den Kirchen auf Ablehnung.
Die innereuropäische Ausgestaltung der Migrationspolitik sorgt seit Jahren für Streit zwischen den EU-Staaten. In einem anderen Punkt besteht dagegen Einigkeit: Alle EU-Staaten wollen die irreguläre Zuwanderung begrenzen und unerwünschte Migranten bereits außerhalb Europas aufhalten. Ein weiteres Thema des EU-Gipfels war daher, zusätzliche Migrationsabkommen mit Drittstaaten zu schließen. Im Fokus stand eine Grundsatzvereinbarung mit Tunesien, die demnächst geschlossen werden soll und als Blaupause gesehen wird. Nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens soll auch Tunesien künftig Schutzsuchende aufhalten, die an der Küste auf Boote steigen. Auch soll der Staat Migranten zurücknehmen.