Bonn (epd). Mehr als eine halbe Million Menschen sind im vergangenen Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg mit 522.821 auf einen neuen Rekordwert, wie die Deutsche Bischofskonferenz am Mittwoch in Bonn mitteilte. Damit nahm die Zahl der Austritte im Vergleich zum Vorjahr um 45,5 Prozent zu. Insgesamt verlor die katholische Kirche in Deutschland im Jahr 2022 mehr als 700.000 Mitglieder.
In Deutschland gehörten demnach knapp 20,9 Millionen Menschen der katholischen Kirche an, 24,8 Prozent der Bevölkerung. Zwar stieg die Zahl der Taufen mit 155.173 im Vergleich zum Vorjahr, doch diese Entwicklung konnte Sterbefälle und Austritte nicht aufwiegen. Die Zahl der Eintritte lag laut Mitteilung bei 1.447, 3.753 Menschen wurden wiederaufgenommen.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sprach von „alarmierenden Zahlen“. „Wir können und wollen die Augen nicht vor dieser Entwicklung verschließen“, sagte der Limburger Bischof laut Mitteilung seines Bistums. Der Bischof warnte jedoch vor Resignation.
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sagte, die Kirche habe Vertrauen verspielt, besonders durch den Missbrauchsskandal. Sie zeige sich aktuell aber auch nicht entschlossen genug, Visionen für eine Zukunft des Christseins in der Kirche umzusetzen, sagte die Präsidentin der Laienorganisation mit Blick auf die unklare Zukunft des katholischen Reformprozesses Synodaler Weg.
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die katholische Kirche sterbe vor den Augen der Öffentlichkeit. Diejenigen, die austreten, hätten nicht den Glauben verloren, sondern sie trauten ihrer Kirche nichts mehr zu, sagte er. „Es treten Menschen aus, die an Jesus Christus glauben.“ Das sei das Dramatische.
Unter den 27 deutschen Diözesen waren die Erzbistümer Köln, München sowie Berlin mit Blick auf die Austrittsrate besonders von Kirchenaustritten betroffen. Insgesamt lag die Austrittsrate für alle Bistümer bei 2,4 Prozent. In Berlin und München lag die Rate bei über drei, in Köln bei 2,8 Prozent. Im Erzbistum Köln steht Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki verstärkt in der Kritik wegen seiner Blockadehaltung in Bezug auf Kirchenreformen. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln wegen Meineids gegen ihn.
Im Erzbistum München war Anfang vergangenen Jahres ein Gutachten veröffentlicht worden, das der Bistumsleitung - darunter auch dem verstorbenen Erzbischof und Ex-Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger - über Jahrzehnte erhebliche Versäumnisse im Umgang mit Missbrauchsfällen attestierte.
Im Bistum Regensburg, wo mit Bischof Rudolf Voderholzer ebenfalls ein Reformgegner an der Spitze steht, stiegen die Austritte im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent von rund 14.000 auf 23.800. Auch im Bistum Osnabrück, wo der reformorientierte Bischof und stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenz, Franz-Josef Bode, infolge seines fehlerhaften Umgangs mit Missbrauchsfällen zurücktrat, stiegen die Austritte um 70 Prozent.
Insgesamt waren 2022 in Deutschland noch 47,5 Prozent der Bevölkerung Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte bereits im März ihre Statistik veröffentlicht. Sie verlor im vergangenen Jahr 575.000 Mitglieder, damit gehörten ihr noch 19,1 Millionen Deutsche an.