Berlin (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hat den Kompromiss der EU-Innenminister für ein gemeinsames europäisches Asylsystem scharf kritisiert. Europa habe „den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Migrationsfeindlichkeit gesucht und gefunden“, sagte Kurschus am Mittwochabend beim Johannisempfang der EKD in Berlin, bei dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unter den Gästen war. „Ich muss es tatsächlich so hart formulieren“, ergänzte sie.
Die Innenministerinnen und Innenminister der EU-Staaten hatten sich Anfang Juni auf Grundzüge eines gemeinsamen Asylsystems geeinigt. Die Bundesregierung stellt heraus, dass damit erstmals ein verbindlicher Solidaritätsmechanismus zur Verteilung von Flüchtlingen in Sicht ist. Der Kompromiss sieht aber auch sogenannte EU-Grenzverfahren vor, die nach Auffassung von Flüchtlingsorganisationen dazu führen könnten, dass Tausende Schutzsuchende in Lagern unter haftähnlichen Bedingungen ausharren müssen, bis ihr Anliegen geprüft ist.
Die Kirche könne und wolle sich nicht mit dem zufriedengeben, „was die EU auf Regierungsebene als einen verheißungsvollen Neuansatz in der gemeinsamen Migrationspolitik bezeichnet“, sagte Kurschus unter Applaus vieler der anwesenden Gäste aus Religionsgemeinschaften, Politik und anderen gesellschaftlichen Bereichen. Es stünden etliche Fragen im Raum, ergänzte sie und verwies auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und die Vermeidung sogenannter Push-Backs - das illegale Zurückdrängen von Asylsuchenden. Noch immer fehle zudem eine Antwort auf das Sterben im Mittelmeer, sagte die westfälische Präses.
„Wer wir sind und was uns unsere sogenannten Werte wert sind, das zeigen wir auch und gerade im Umgang mit Geflüchteten“, sagte Kurschus. Sie wisse, dass Städte am Limit seien und dass Geld und Plätze fehlten. Sie wisse auch, dass Zuwanderung demokratieverträglich gestaltet werden müsse. „Aber Abschottung und eine Rhetorik, die Angst verbreitet, spielen denen in die Hände, die Probleme bewirtschaften wollen, statt sie zu lösen“, sagte sie.