Historiker: Früherer Pfälzer Kirchenpräsident Stempel war kein Nazi

Historiker: Früherer Pfälzer Kirchenpräsident Stempel war kein Nazi

Landau (epd). Der wegen seines Engagements für NS-Verbrecher umstrittene frühere pfälzische Kirchenpräsident Hans Stempel (1894-1970) ist nach Einschätzung des Historikers Nicholas Williams kein Nationalsozialist gewesen. Dennoch bleibe unverständlich, warum der promovierte Theologe nach 1945 vor allem versucht habe, die Täter von ihrer Schuld zu entlasten, sagte der Leiter des Instituts für ostbelgische Geschichte in Eupen am Montagabend in Landau. Williams stellte bei einer Buchpräsentation die Ergebnisse eines Forschungsprojekts vor, das seit 2018 unter Federführung der Evangelischen Akademie der Pfalz Stempels Wirken untersucht hatte.

Als wichtiger Protagonist der evangelischen Kirche habe Stempel nach 1945 in Frankreich, Belgien, Italien und Luxemburg inhaftierte NS-Täter als Seelsorger betreut und sich für sie auch politisch eingesetzt, sagte Williams. Er und sein Freund, der Böhler Pfarrer Theodor Friedrich (1899-1961), hätten zugleich über Netzwerke für deren Freilassung geworben und die Legitimität der Urteile infrage gestellt. Verdienste erworben habe sich Stempel allerdings in der deutsch-französischen Versöhnung und der Demokratisierung der Pfälzer Kirche in der frühen Bundesrepublik. Stempel stand von 1948 bis 1964 als Präsident an der Spitze der Pfälzer Kirche.

Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst bezeichnete es als eine bleibende Aufgabe der Pfälzer Kirche, ihre Geschichte aufzuarbeiten. Die „kirchenleitende Fokussierung“ auf die Täter unter Stempel sei befremdlich und für die Opfer und deren Angehörige bis heute „ein Schlag ins Gesicht“, sagte Wüst. Sie rief dazu auf, sich selbst ein Bild über den Theologen zu machen. Dieser sei „als Kind seiner Zeit“ von traumatischen Kriegserlebnissen des Ersten Weltkriegs, einem hohen seelsorgerlichen Antrieb und einem „komplexen Schuldverständnis“ geprägt gewesen.

Der in Steinwenden im Landkreis Kaiserslautern geborene Stempel hatte sich nach dem Krieg für den Verein „Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte“ engagiert und gehörte dessen Präsidium an. Er war zudem inoffizieller „Beauftragter der EKD für die Seelsorge an deutschen Kriegsverurteilten in ausländischem Gewahrsam“. Aufgrund seiner Initiative kamen zahlreiche Kriegsgefangene und verurteilte NS-Täter aus der Gefangenschaft frei.