Karlsruhe (epd). Eine Patientenverfügung kann die Zwangsbehandlung eines in der Psychiatrie untergebrachten psychisch kranken Straftäters nicht ohne Weiteres verhindern. Wird in der Verfügung festgelegt, dass dem Betroffenen ohne seine Zustimmung keine Neuroleptika verabreicht werden dürfen, müssen darin auch die konkrete Behandlungssituation und drohende Konsequenzen einer unterbliebenen Behandlung benannt werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. Auch eine konkrete Gefahr für Leib und Leben anderer Personen, wie etwa für Pflegekräfte, könne die Zwangsbehandlung trotz einer anderslautenden Patientenverfügung begründen. (AZ: XII ZB 232/21)
Im Streitfall ging es um einen an einer paranoiden Schizophrenie erkrankten Straftäter. Seit 2017 befindet er sich im Maßregelvollzug einer psychiatrischen Klinik. Anfang 2015 hatte er in einer Patientenverfügung festgelegt: „Ich verbiete jedem Arzt, Pfleger (und anderen Personen) mir Neuroleptika in irgendeiner Form gegen meinen Willen zu verabreichen oder mich dazu zu drängen.“
Die behandelnden Ärzte wollten den Mann dennoch zwangsweise sechs Wochen lang mit Neuroleptika behandeln. Die Maßnahme sei erforderlich, damit der Betroffene die Chance habe, wieder entlassen zu werden. Außerdem bestehe sonst eine Selbstgefährdung.
Das Landgericht Regensburg lehnte die Zwangsmedikation ab. Die Patientenverfügung und das darin enthaltene entsprechende Verbot seien wirksam. Es sei auch keine „gravierende Gesundheitsschädigung“ anderer Personen zu befürchten, wenn die Maßnahme nicht durchgeführt werde.
Der BGH verwies das Verfahren zurück und entschied, dass eine Patientenverfügung nur bindend sei, wenn klar ist, für welche Behandlungssituation diese gelten soll. Auch müssten die Konsequenzen der unterbliebenen Behandlung bedacht werden. Hier sei nicht klar, ob der Betroffene beim Verfassen der Verfügung gesehen hat, dass als mögliche Folge einer unterbliebenen Behandlung er gegebenenfalls lebenslang im Maßregelvollzug bleiben muss.
Die Zwangsmedikation trotz Patientenverfügung sei auch möglich, wenn so die Gefährdung von Leib und Leben anderer Personen wie Ärzte und Pflegepersonal abgewendet werden kann. Es reiche aus, dass der Patient - wie im vorliegenden Fall - in der Vergangenheit mehrfach Pflegekräfte angegriffen hat.